Die Synergie der zweifachen Beteiligung

Beispiele aus den Niederlanden und den Vereinigten Staaten

Kees Vreugdenhil auf dem 5. Ganztagsschulkongress 2008

 

Die Schule manifestiert sich nicht immer wie eine Enklave in der kulturellen Landschaft unserer Gesellschaft. Seit wenigstens 150 Jahren haben Reformpädagogen aus Deutschland und vielen anderen westlichen Ländern ihre Schulen oder Bildungs- und Erziehungseinrichtungen für das authentische Alltagsleben geöffnet. Denken Sie in Deutschland zum Beispiel an Fröbel, Lietz, Reichwein und Petersen. Non scholae, sed vitae discimus, meinte Seneca schon im ersten Jahrhundert: Nicht für die Schule, sondern für das Leben lernen wir. Das Öffnen der Schule für die Lebenswelt darf jedoch keine Einbahnstraße sein.

 

Die Gesellschaft muss sich diese auswärtsgerichtete Bewegung der Schule wenigstens gerne gefallen lassen. Die letzten neunzig Jahre haben vor allem in den Großstädten unserer westlichen Welt noch ein weiteres Bedürfnis freigelegt: Es wäre sogar wünschenswert, wenn es aus der Lebenswelt, aus der Kommune auch einen engagierten Gegenverkehr in Richtung der Schule gibt.

 

Warum ist es eigentlich wünschenswert oder sogar notwendig, dass Schulen und Kommunen sich gegenseitig öffnen und miteinander kooperieren? Das ist einerseits die Frage nach den Motiven für die Beteiligung der Kinder und Jugendlichen am gesellschaftlichen Leben. Andererseits ist es die Frage nach den Motiven der Bürger und Instanzen einer Kommune für die Gestaltung der Schule. Anhand niederländischer und amerikanischer Beispiele möchte ich diese Frage beantworten. Ich konzentriere mich auf zwei Formen der kommunalen Bildung: Die ’breite Schule’ (community school) und das ’Service learning’. Das Letzte erkläre ich mit Hilfe des Konzepts des natürlichen Lernens. Diese zwei Themen werden von zwei Blickwinkeln betrachtet:

  • der Blickwinkel der Kinder und Jugendlichen, die über die vernetzte Schule als ankommenden verantwortlichen und demokratischen Bürger partizipierend in die Gesellschaft hineinwachsen;
  • der Blickwinkel der Bürger, die sich mitgestaltend auf die vernetzte Schule einlassen um eine bessere Eingliederung der nächsten Generation in die demokratische Gesellschaft zu ermöglichen.

Die breite Schule in den Niederlanden

In den Niederlanden gibt es seit den neunziger Jahren ’die breite Schule’. ’Breit’ heisst: Die Einrichtung eines Netzes von Bildung, Erziehung, Wohlfahrtspflege, Jugendfürsorge, Sport- und kulturellen Instanzen und Kinderkrippen in der Gemeinde um das Kind und seine Familie herum, wo möglich unter einem Dach. Fünfzehn Prozent aller niederländischen Grundschulen und Schulen für weiterführenden Unterricht sind momentan breite Schulen. Sie haben einiges mit den deutschen Ganztagschulen gemeinsam: Eine Betreuung der Kinder und Jugendlichen nach der offiziellen Schulzeit; interessante außerkurrikuläre Aktivitäten. Hauptziel der niederländischen breiten Schule ist jedoch ein Zusammenschluß von Instanzen, die alle an dem Aufwachsen der Kinder und Jugendlichen beteiligt sind, mit dem Ziel, die Entwicklungschancen der Kinder und Jugendlichen zu vergrößern.

Seit einigen Jahren gibt es neue Varianten der breiten Schule: Die Kunstmagnetschule in welche eine oder mehrere Kunstformen mit Hilfe von Künstlern vor Ort einen grossen Akzent im Lehrplan setzen; das Kulturhus in welchem unter einem Dach kommunale Fazilitäten zusammengebracht sind, z.B. das Verkehrsamt, die Bank, die Post, die Bibliothek, die ausserschulische Kinderbetreuung mit einem Hort oder einer Kinderkrippe, eine Hausarztpraxis, die Physiotherapie, einen Versammlungsort, ein Gemeindezentrum. Für diese Fazilitäten strebt man nicht nur eine enge Zusammenarbeit, sondern auch ein zentrales Management, eine gemeinsame Programmierung der Aktivitäten und nur einen Ansprechpartner, für die vielen verschiedenen Fragen nach Hilfe oder Unterstützung, an.

Man kann sich fragen warum es eigentlich breite Schulen geben musste. Die Motive haben nicht für alle breiten Schulen die gleichen Voraussetzungen. In Groningen, im Norden der Niederlande, gibt es seit 1995 breite Schulen. Die Motive waren:

  • integrierte Maßnahmen zur Bewältigung der Entwicklungsrückstände der Kinder und Jugendlichen aus sozial-wirtschaftlich schwachen, deprivierten Familien in einer städtischen Umgebung;
  • die Einführung des verlängerten Schultages, also der Ganztagsschule, um es zu ermöglichen, die Schule als Treffpunkt für die Eltern und ihre eigene Entwicklung funktionieren zu lassen;
  • die Demokratisierung der Schule durch eine intensivere Beteiligung der Eltern am Schulleben;
  • eine bessere Zusammenarbeit der Instanzen, die sich mit der Gesundheit und dem Wohl der Kinder und Jugendlichen inner- und außerhalb ihrer Familie befassen.

Später führte man auch in anderen Großstädten breite Schulen ein. Die Motive sind meistens die Gleichen wie die in Groningen, aber man akzentuiert stärker die Entwicklung der sozialen Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen. Unter dem Stichwort Partizipation versucht man in der Gestaltung der Freizeitaktivitäten in der Ganztagschule vor allem in lebensechten Situationen das Lernen des Mitdenkens, des Mitentscheidens und des Übernehmens der Verantwortlichkeit zu fördern. Obwohl in den Niederlanden nicht stark prononciert, geht es letztendlich um die Entwicklung demokratischer Kompetenzen. Gerade durch die aktive Beteiligung an den vielen inner- und außerschulischen Aktivitäten in der vernetzten breiten Schule, können Kinder und Jugendliche sich auch als demokratische Bürger entwickeln. Dazu brauchen sie einerseits ein Klima des Vertrauens und der Sicherheit, andererseits ein Klima der Herausforderung und die Möglichkeit zu experimentieren. 

 

Fruchtbare Aufgabenteilung

Es geht im Großen und Ganzen um unbewusste Prozesse der Sozialisierung. Das reicht nicht für eine richtige Entwicklung zur demokratischen Bürgerschaft. Es braucht immer auch die bewusste Reflexion auf die eigenen Erfahrungen in Bezug auf die Merkmale und Werte eines demokratischen Lebensstils und einer ebensolchen Gesinnung. Dazu ist die enge Zusammenarbeit der Schule mit den vernetzten Instanzen wesentlich. In der gemeinsamen Programmierung der schulischen und außerschulischen Aktivitäten braucht man eine klare Analyse des Vorhabens und der möglichen Effekte auf die Entwicklung von kritisch-demokratischen sozialen Kompetenzen. Erst dann kann es eine fruchtbare Aufgabenteilung zwischen der Schule und den sozial-kulturellen Einrichtungen in ihrem Netz geben.

 

Im täglichen Unterricht

Allmählich versucht man den täglichen Unterricht in der Schule mehr in Einklang mit diesen Zielsetzungen zu bringen. Durch die neue Positionierung der Schule in einem Netz von sozial-kulturellen Einrichtungen, entdeckt man in der Schule die Möglichkeiten der integrierten Unterstützung von Familien, Kindern und Jugendlichen in ihrem Entwicklungsrückstand. Außerdem wird deutlicher, wie man im Unterricht das Alltagsleben für die Entwicklung der kindlichen Kompetenzen besser benutzen kann. Die Schule öffnet sich für das, was in der Gemeinde passiert. Unterrichtsformen und Aktivitäten, wie Kreisgespräche, Projekte, Exkursionen, Forschungen und Experimente gehören in vielen niederländischen Schulen - und nicht nur in den breiten Schulen - zu der täglichen Praxis, obwohl es in den letzten zwei, drei Jahren eine starke Gegenbewegung gibt: back-to-basics.

Die Motive, Aktivitäten und Variationen der breiten Schulen in den Niederlanden sind inzwischen ziemlich klar dokumentiert, aber wie steht es um die Effekte und Erträge? Leider gibt es noch wenige Forschungsergebnisse. In 2007 wurde jedoch eine interessante Evaluationsarbeit bezüglich der breiten Schule abgeschlossen. Die nächsten Ergebnisse sind zu erwähnen:

  • Breite Schulen verstärken das bewusste Hineinwachsen der Schüler in die Gesellschaft und regen die Entwicklung ihrer sozialen Kompetenzen an.
  • Breite Schulen verstärken die Verhältnisse zwischen den Eltern, der Schule und anderen Beteiligten an der Entwicklung der Kinder und Jugendlichen. Sie liefern einen positiven Beitrag am sozialen Schulklima, an der Kohäsion in der Kommune und an den Aktivitäten, die auf eine Unterstützung der Erziehung ausgerichtet sind.
  • Breite Schulen verstärken die Entwicklung der Schüler in den Bereichen des Sportes, der Kunst und der Kultur im Allgemeinen.

Meines Erachtens gibt es noch zwei weitere günstige Nebeneffekte der breiten Schule:

  • Es entwickelt sich bei allen Beteiligten ein schärferes Bewusstsein für die Komplexität und Differenziertheit der sozial-wirtschaftlichen und kulturellen Problematik, wie diese sich vor allem in den größeren Gemeinden manifestiert.
  • Es zeigt sich immer mehr, dass die breite Schule mit ihrem Netz eine soziale Infrastruktur in einem Stadtteil bietet, die es ermöglicht auch nicht vorgesehene Ziele zu erreichen. Ein Beispiel bildet die aktuelle niederländische Regierungspolitik bezüglich der Problemviertel in Großstädten. Durch ein integriertes Bündel von verschiedenen Maßnahmen in den nächsten Jahren, versucht man positive Lebens-und Arbeitsumgebungen zu schaffen. Vom Krach-Viertel zum Kraft-Viertel. Ein wichtiger Ansatzpunkt dazu bildet die vernetzte breite Schule.

Diese zwei Nebeneffekte halte ich für sehr wichtig, weil sie die Möglichkeit für eine langfristige Verbesserung der Großstadtproblematik bieten.

 

Die Community School in den Vereinigten Staaten

 In den Vereinigten Staaten gibt es mehrere Formen der kommunalen Bildung und Erziehung (community education). Dieser Begriff ist in den dreißiger Jahren an einem Ort in Michigan (USA) in der Auseinandersetzung mit sozialen Problemen wie Arbeitslosigkeit, Abwanderung und Jugendkriminalität entstanden. Seitdem ist gerade in den Vereinigten Staaten die Community Education eine ideelle Bewegung geworden, die eine mehrperspektivische Lösung komplexer sozialer Probleme anstrebt. In den neunziger Jahren wurden  ausgewogene Prinzipien für diese Bewegung formuliert:

  • Selbstbestimmung: Die Einbeziehung der Bürger in das Identifizieren kommunaler Bedürfnisse, Themen und Lösungen; die gezielte Förderung von Partizipation der Eltern in allen schulischen Angelegenheiten.
  • Selbsthilfe: Ermutigung zur Unabhängigkeit; Förderung der Fähigkeit der Bürger zur Identifizierung der kommunalen Bedürfnisse und zur Planung von Lösungen. Hierbei kann man mit service learning anschließen.
  • Entwicklung der Führungsqualitäten: Führungspersönlichkeiten in der Kommune finden und ihren möglichen Beitrag im Rahmen der Community Education bestimmen. Förderung der Führungsfähigkeiten dieser Bürger.
  • Ressourcen: Maximaler Einsatz sächlicher, finanzieller, humaner Ressourcen der Kommune, um den Bedürfnissen der Schüler und deren Familien gerecht zu werden.
  • Dezentralisierung: Dienstleistungen, Veranstaltungen und Aktivitäten innerhalb der Kommune in zugänglichen Lokalitäten anbieten
  • Integrierte Dienstleistungen: Instanzen, Dienststellen und Vereine kooperieren lassen, um Dienstleistungen für die Schüler und ihre Familien anzubieten, wo möglich über die Schule. Die Ganztagsschule in Deutschland und die breite Schule in den Niederlanden sind Beispiele einer derartigen Kooperation.
  • Inklusive Kooperation: Möglicherweise alle Bürger der Kommune an den Programmen, Dienstleistungen und Aktivitäten teilhaben lassen.
  • Flexible, empathische Reaktion: Dienstleistungen und Programme auf die sich ändernden Bedürfnisse der Kommune abstimmen
  • Lebenslanges Lernen: Lernmöglichkeiten für alle Bürger, ungeachtet ihres Alters, bereitstellen.

Die Amerikanische community school steht in dieser Tradition. Das bedeutet, dass die Motive und Erscheinungsformen der community school zwar im Großen und Ganzen weitgehend mit denjenigen der Ganztagsschule und der breiten Schule übereinstimmen, aber auch durch eigene Akzente gekennzeichnet werden. Diese Akzente sind auf die Bekämpfung der Armut und die oft traurige Familienlage ausgerichtet: Kriminalität, Gewalt, gebrochene Familieverhältnisse, schlechte Ernährung der Kinder und Zweite-Sprache-Problematik.

 

Full-Service Community Schools

Man hat entdeckt, dass zur Erledigung dieser Problematik das einfache Konzept der community school nicht ausreichend ist. Deshalb spricht man gegenwärtig von Full-Service Community Schools. Das bedeutet, dass auch die Ernährung der Kinder, die Gesundheitspflege und die Erziehungsberatung wichtige Aspekte des sozialen Netzes ringsum der Schule sein müssen.

Obwohl auch in den Vereinigten Staaten eine systematische Erforschung der Effekte einer community school noch wenig durchgeführt wurde, gibt es trotzdem interessante Evaluationsergebnisse:

  • Schüler einer community school zeigen erhöhte Lernergebnisse, sowohl auf dem Gebiet der akademischen Bildung, als auch im Bereich der nicht-akademischen Entwicklung. Für das Letzte ist zu denken an: Eine bessere Disziplin; regelmäßiger Schulbesuch; bessere Leistungen in Hausaufgaben; ein besser entwickeltes Gefühl für die Notwendigkeit bestimmter Verantwortlichkeiten im gesellschaftlichen Leben zu übernehmen; eine verstärkte soziale Kompetenz.
  • Die Familien werden meistens positiv von der community school beeinflusst. Das zeigt sich unter anderem in: Einer besseren Kommunikation zwischen Eltern und Lehrern, in einer stabileren täglichen Lebensführung in der Familie, in einer erhöhten Arbeitspartizipation, einer stärkeren Verantwortlichkeit für die Entwicklung und das Lernen ihrer Kinder; abnehmende Gewalt in der Familie; zunehmende Partizipation am gesellschaftlichen Leben. Implizit bedeutet das auch eine Stärkung des demokratischen Bewusstseins.
  • Die community school selbst erfährt im Allgemeinen eine größere Zufriedenheit der Lehrer, ein besseres Verhältnis mit Eltern, eine stärkere Unterstützung aus der Kommune, einen besseren Einblick in die Unterstützungsmöglichkeiten der sozialen Einrichtungen in der Kommune, und mehr Verständnis für Projektarbeiten an kommunalen Themen.
  • Die Kommune erfährt eine zunehmende Sicherheit, einen besseren Zugang zu Hilfsinstanzen, eine stärkere Verwendung der Schule für kommunale Zwecke, und eine gewachsene kommunale Identität.
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Qualität der Bildung

Das sind zweifellos wichtige Ergebnisse. Zu bedenken sei, dass es um Situationen geht, in welchen man wenigstens acht bis zehn Jahre zusammengearbeitet hat. Eine zweite Bedingung für diese Ergebnisse, ist die Qualität der Bildung in den community schools. Man hat über Forschungsergebnisse fünf wichtige Bedingungen einer erfolgreichen Bildung in community schools entdeckt:

  • In der Schule benutzen qualifizierte Lehrer einen herausfordernden Kernlehrplan mit hohen Anforderungen. Die Lehrer sprechen hohe Erwartungen über das Lernen und die Lernergebnisse ihrer Schüler aus.
  • Die Schüler sind motiviert und engagiert, um die in einem lebensechten kommunalen Kontext angebotenen Lerninhalte aktiv zu bewältigen, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Schule.
  • Die grundlegenden physischen, psychischen und emotionalen Gesundheitsbedürfnisse der Schüler und ihrer Verwandten werden in der Schule anerkannt und so weit wie möglich durch die Zusammenarbeit der vernetzten Instanzen erfüllt.
  • Es gibt eine effektive Zusammenarbeit zwischen den Lehrern, den Eltern und anderen Verwandten der Schüler auf der Basis gegenseitigen Respekts.
  • Das Schulklima wird in einem Zusammenklang von kommunalem und schulischem Engagement gefördert, damit es für Schüler sicher, unterstützend und respektvoll ist und sie mit dem gemeinsamen Lernen innerhalb der Kommune verbindet.

Die Partizipation der Schüler an der demokratischen Gesellschaft wird, wie in den Niederlanden, vor allem implizit angenommen. Man erwartet für die Entwicklung der sozial-partizipierenden Kompetenzen der Schüler günstige Effekte von der Beteiligung an dem vernetzten Schulleben im außerschulischen Bereich, sowie von der aktiven Bewältigung kommunaler Themen innerhalb der Schule. Auch hier muss m. E. nochmals erwähnt werden, dass dieser intuitive Vorgang mit einer bewussten und aktiven Reflexion bereichert werden muss, um effektiv zu sein. Um diese Effektivität zu erreichen, braucht man auch die Beteiligung der Bürger und Instanzen in der Gesellschaft an der Gestaltung der Schule, wie der Engländer Crouch in seinem vor kurzem erschienenen Buch Postdemokratie im allgemeinen Sinne formuliert hat: ’Die Demokratie kann nur dann gedeihen, wenn die Masse der normalen Bürger wirklich die Gelegenheit hat, sich durch Diskussionen und im Rahmen unabhängiger Organisationen aktiv an der Gestaltung des öffentlichen Lebens zu beteiligen – und wenn sie diese Gelegenheiten auch aktiv nutzt. (2008, S. 8, 9).

 

Das Konzept ‚natürlichen Lernens’ als ‚Service Learning’

Man findet in den Vereinigten Staaten das Phänomen des Service Learnings vor. Es unterstützt die Schüler in ihrem Lernprozess, während ihrer Partizipation in gediegen organisierten Dienstleistungen, die einem aktuellen Bedürfnis in der kommunalen Gemeinschaft entsprechen. Es bietet den Schülern außerdem die Gelegenheit, neu erworbene Fertigkeiten und Wissen in lebensechten Situationen innerhalb ihrer Kommune anzuwenden. Das Ergebnis ist eine breite Beteiligung der Bürger in einer Kommune am Schulleben.

Service Learning wird in Deutschland unter anderem von der Freudenberg Stiftung über das Netzwerk Service-Learning vertreten. In den Niederlanden wächst allmählich die Anzahl der Schulen, die sich mit diesem Konzept befassen. Es wird in fast allen Schultypen praktiziert. Das Kernstück des natürlichen Lernens ist die Dienstleistung in der Kommune. Das bedeutet, dass die Schüler täglich an praktischen Aufgaben arbeiten. Es gibt mehrere Aufgabentypen. Die wichtigsten Aufgaben sind die, welche einem echten Bedarf in der Kommune entsprechen. Die Schüler wählen sich aus einem Katalog von möglichen, sinnvollen Aufgaben eine Aufgabe heraus, die ihre Neugier reizt und ihren Stärken und Interessen entspricht. Mit dem Auftraggeber wird ein Vertrag eingegangen. In diesem Vertrag umschreibt der Auftraggeber die Aufgabe, wozu er die Erledigung der Aufgabe braucht, wie die Dienstleistung und das Produkt letztendlich aussehen müssen, und welche Qualität er erwartet. Selbstverständlich werden die Schüler in den Vertragsverhandlungen von einem Lehrer der Schule unterstützt, damit sie nicht überfordert werden. Im Katalog sind übrigens nur Aufgaben aufgenommen, die bestimmten Standards der Schule entsprechen. So müssen die Aufgaben nicht nur sinnvoll für die Kommune, sondern auch für die akademische Bildung in der Schule sein.

Meistens arbeiten die Schüler in einem Team an ihrer Aufgabe. In der Schule gibt es inzwischen ein Angebot an unterstützenden Kenntnissen und Fähigkeiten. Die werden über Workshops und Ateliers vermittelt. Das Ergebnis der Erledigung der Aufgabe wird sowohl dem Auftraggeber, als auch den Mitschülern präsentiert. Neben der Lernarbeit an diesen kommunalen Aufgaben haben die Schüler auch mit zwei anderen Aufgabentypen zu tun:

  • Sie beteiligen sich am Schulleben selbst, durch Prozesse der Mitbestimmung und durch Gelegenheitsarbeiten in der Schule, damit sie lernen ihre Verantwortlichkeit für ihre Lebensumgebung zu entwickeln
  • Sie beteiligen sich an leichten Forschungsaufgaben, damit sie lernen etwas systematisch zu untersuchen und kritisch zu analysieren und zu beurteilen.
    Selbstverständlich ist die Schulaufsicht in den Niederlanden besonders stark am vorgeschriebenen Bildungsniveau der Schüler interessiert. Eine der ersten Grundschulen in den Niederlanden, die sich vor drei Jahren auf Service-Learning eingelassen hat, ist denn auch ganz scharf von der Schulaufsicht evaluiert worden. Es hat sich erwiesen, dass diese Schule ein signifikant höheres Niveau erreicht hat als vor drei Jahren. Also, Bildungslandschaften lohnen sich auch für die akademische Bildung.
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Ein knappes theoretisches Fundament

Heutzutage  kann man auch aus der Wissenschaft eine gewisse Bestätigung für erfolgreiche Lernprozesse in Bildungslandschaften entnehmen. In der Entwicklungspsychologie wird seit etwa zwei Jahrzehnten ein neues Paradigma vertreten. Es geht um das Konzept der positiven Entwicklung. Die Frage ist welche Bedingungen für eine positive Entwicklung der Kinder und Jugendlichen wichtig sind. Dieses Paradigma wurde vor allem in den Vereinigten Staaten ausgearbeitet. In einem systemtheoretischen Ansatz wird ein großer Wert auf die Rolle des Kontextes in der Entwicklung gelegt. Neben der notwendigen interaktiven Unterstützung des sich entwickelnden Individuums durch verschiedene Erziehungssysteme, braucht das Kind und der Jugendliche auch eine eigene Entwicklungsregulation (“Thriving“): ’die aktiven Bemühungen der Person, Ziele zu verwirklichen (gegebenenfalls auch zu bestimmen bzw. neu zu definieren) verbunden mit der Nutzung von Ressourcen. Dabei werden die Beziehungen zwischen Person und verschiedenen Kontexten in Abhängigkeit von Personenmerkmalen (z.B. Persönlichkeit) und über die Lebensspanne veränderbar angesehen’ (Weichold 2007, S. 2).

Laut Weichold u.a. (2007, S. 3) zeichnet sich eine gelungene positive Entwicklung durch sechs Attribute aus:

  • interpersonale und intrapersonale Kompetenz;
  • Vertrauen in eigene Kompetenzen und in andere Personen;
  • positive Persönlichkeitseigenschaften und ein gefestigter Charakter;
  • Vernetzung mit anderen durch tragfähige soziale Bindungen;
  • fürsorgliche Beziehungen zu anderen;
  • einen positiven Beitrag für die Gesellschaft.

Diese Attribute werden weitgehend in einer Interaktion mit der sozialen Umgebung erworben. In dieser Umgebung sind angemessene Entwicklungsressourcen eine unentbehrliche Bedingung für die positive Entwicklung des Individuums. Es hat sich erwiesen, dass diese Ressourcen ’kumulative Effekte haben – je höher die Anzahl der Ressourcen ist, über die Jugendliche verfügen, desto ausgeprägter positiv sind die Entwicklungsergebnisse’ (Weichold 2007, S. 6). Dieser Befund legt eine schwere Verantwortlichkeit auf Schule und Gemeinschaft, eine Vielfalt an Ressourcen und qualitativ angemessene und effektive Programme zur Verfügung zu stellen. Dies hat Implikationen für die kommunale Entwicklung.

 

Positiver Einfluss einer Bildungslandschaft

Eine zweite wissenschaftliche Quelle zur Legitimierung der positiven Einflüsse einer Bildungslandschaft auf die kindliche und jugendliche Entwicklung und auf ihre Lernprozesse, findet man in den Neurowissenschaften vor. Das Gehirn braucht zum Lernen ein herausforderndes sozial-kulturelles und sicheres Umfeld. Ein solches ’entspanntes’ Feld bietet sowohl Anregung als auch Sicherheit. Wenn das der Fall ist, regt die natürliche Neugier das Kind dazu an zu erfahren, zu entdecken, zu untersuchen, zu experimentieren und zu spielen. Diese Aktivitäten werden im Gehirn von positiven Emotionen begleitet. Ein sicheres Umfeld ist durch Situationen und Ereignisse gekennzeichnet, die vertraut, vorhersag- und kontrollierbar sind, wenn sich das Individuum in einem sozialen Netz befindet. Die Entwicklung des Gehirns ist also sozio-kulturell bedingt (ein soziales Konstrukt, laut der Neurobiologe Gerald Hüther). In anderen Kulturen bildet es sich teilweise anders aus.

Einige Reflexionen und Schlussfolgerungen

1. Schlussfolgerung
In den neuen Bildungslandschaften kann man die Frage nach Partizipation in der demokratischen Gesellschaft auf verschiedenen Ebenen gestalten:

  • die innerschulische Ebene. Brügelmann (2008) hat schon 1969 vier Niveaus unterschieden: Als Fachunterricht, als Unterrichtsprinzip, als Anforderung an Arbeits- und Sozialformen im Unterricht; als Leitidee für die Gestaltung des Schullebens. In den niederländischen Schulen, die sich mit dem Konzept des natürlichen Lernens befassen, sind alle vier Ebenen vertreten.
  • die außerschulische Ebene. Die Partizipation findet regelmäßig in den Kontakten und Interaktionen innerhalb des sozial-kulturellen Netzes statt. Im service learning geht es um eine aktive Beteiligung an der Lösung der Probleme oder der Erfüllung der Bedürfnisse der Kommune, in soweit diese für Schüler sinnvoll, herausfordernd und möglich sind.

Auf beiden Ebenen ist zu beachten, dass eine bloße Teilnahme an den Prozessen höchstens die halbe Arbeit ist. Zusätzlich ist eine tiefe und kritische Reflexion auf die eigenen Erfahrungen und die der Anderen notwendig. Die Partizipation hat nämlich mit der moralischen Entwicklung der Kinder und Jugendlichen zu tun. Das wurde schon in den sechziger Jahren von dem Amerikaner Lawrence Kohlberg ausgesprochen. Seine Nachfolger haben diese theoretischen Ansätze weiterentwickelt und teilweise erneuert. Heutzutage geht es in der moralischen Entwicklung um das Internalisieren von Werten und Normen, um die Reflexion auf Gewohnheiten, und um das Verstärken der eigenen verantwortungsvollen Autonomie. Eine Bildungslandschaft mit dem service learning ist dazu nicht nur ein ideales Umfeld, sondern auch eine Notwendigkeit.

2. Schlussfolgerung
Es hat sich erwiesen, dass die meisten breiten Schulen in den Niederlanden und fast alle community schools in den Vereinigten Staaten aus kommunalpolitischen Entscheidungen  entstanden sind. Das ist auch logisch, wenn wir die Motive der Einführung dieser vernetzten Schulen beachten. Aus Evaluationsergebnissen können wir schlussfolgern, dass es ungeheuer wichtig ist eine community school nicht modellartig, sondern aus den konkreten Bedürfnissen und Merkmalen einer Kommune heraus zu gestalten. In diese Gestaltung müssen die Bürger und Instanzen in der Kommune weitgehend beteiligt werden. Es reicht nicht nur eine politische Entscheidung im Stadtrat zu treffen.

3. Schlussfolgerung
Die ersten tiefergreifenden Evaluationen der breiten Schule/community schools haben gezeigt, dass Erfolge erst nach einigen Jahren erwartet werden können. Das gilt um so stärker, wenn man auch die Entwicklung eines Stadtteiles mit beabsichtigt hat. Es geht um sehr komplexe kulturelle Prozesse, in welchen Traditionen und Gewohnheiten den sozialen Verkehr geprägt haben. Sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in den Niederlanden gibt es Probleme in Bezug auf die Subvention der Aktivitäten. Es geht meistens um kurzfristige Projektsubventionen und einmaliges Sponsoring. Das verunsichert die Beteiligten und macht eine notwendige strategische Planung illusorisch. Es ist also eine dringende Notwendigkeit die Subventionen strukturell zu machen. Der Aufbau einer Bildungslandschaft zeigt sich als ein langfristiges Unternehmen, wenn wir eine zweifache Synergie von Partizipation anstreben. Dazu brauchen Sie Geduld und Ausdauer.

 

Literatur

  • Brügelmann, Hans (2008). Demokratisiert Schule und Unterricht – statt die Belehrung’von oben’ zu optimieren. www.ganztaegig-lernen.de
  • Burgwal, Gerard van de, Henk Geelen, Froukje Hajer, Saskia van Oenen, Gerard Verheijden (1998). Bouwen aan een community School. Een werkboek van de Children’s Aid Society uit New York. Utrecht: Nederlands Instituut voor Zorg en Welzijn (NIZW)
  • Crouch, Colin (2008). Postdemokratie. Frankfurt am Main: Suhrkamp
  • Decker, L.E., V.A. Romney (Eds.) (1992). Educational restructuring and the community education process. Virginia, U.S.: National Coalition for Community Education
  • Dryfoos, Joy, Sue Maguire (2003). The Impact of Community Schools: A Review of Current Evaluation Findings. In: Martin J. Blank, Atelia Melaville, Bela P. Shah. Making the Difference. Research and Practice in Community Schools.  Washington DC: Coalition for Community Schools
  • Grinten, Michiel van der, Frank Studulski (Red.) (2007). Zicht op de brede school 2006-2007. Amsterdam: Uitgeverij SWP
  • Littky, Dennis, Samantha Grabelle (2004). The BIG Picture. Education is Everyone’s Business. Alexandria (USA): Association for Supervision and Curriculum Development (ASCD)
  • Munnik, Cees de, Kees Vreugdenhil (2007). Kennis over onderwijs. Groningen: Wolters-Noordhoff
  • Munnik, Cees de, Kees Vreugdenhil (2007). Opvoeden in het onderwijs. Groningen: Wolters-Noordhoff
  • Oenen, Saskia van, Joke van der Zwaard, Marijke Huisman (2000). Starten met de brede school. Utrecht: Nederlands Instituut voor Zorg en Welzijn (NIZW)
  • Tops, P.W., R. Weterings (1998). De Groninger vensterscholen als eigentijds lokaal bestuur. Tilburg: Katholieke Universiteit Brabant
  • Weichold, Karina (2007). Thema Positive Jugendentwicklung. Interne Publikation des Thüringer Nelecom-Projektes
  • Wielders, J., J. Smets (2007). Argumenten die tellen. Reflecties vanuit theorie en praktijk over de maatschappelijke meerwaarde van brede scholen. Noord-Brabant: PON
    Instituut voor advies, onderzoek en ontwikkeling
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Datum: 16.09.2008
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