Demokratiepädagogik in der Ganztagsschule

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Was ist Demokratiepädagogik?

von Wolfgang Edelstein

Demokratiepädagogik umfasst pädagogische, insbesondere schulische und unterrichtliche Bedingungen und Aktivitäten zur Förderung von Kompetenzen, die Menschen benötigen, um an Demokratie als Lebensform teilzuhaben und diese in Gemeinschaft mit anderen Menschen aktiv zu gestalten; um sich für eine demokratische Gesellschaftsform zu engagieren und sie durch Partizipation und Mitwirkung in lokalen und globalen Kontexten mitzugestalten und um Demokratie als Regierungsform durch aufgeklärte Urteilsbildung und Entscheidungsfindung zu bewahren und weiterzuentwickeln.

 

Es handelt sich also um ein Repertoire von Lerngelegenheiten und Kontexten, die zu Demokratielernen und demokratischer Schulqualität beitragen. Zu diesen Lerngelegenheiten und Kontexten demokratieförderlichen Lernens gehören:


1. Schulische und außerschulische Erfahrungs- und Handlungsfelder

Zu den schulischen Erfahrungs- und Handlungsfeldern gehören Gelegenheitsstrukturen für Aushandlungs-, Evaluations- und Konfliktlösungsprozesse unter den Akteuren in Unterricht und Schulleben. Beispiele dafür sind Feedbackprozesse über Erfahrungen von Schülern und Lehrpersonen im Unterricht oder in Situationen der Leistungsbewertung; über den Unterricht hinausgehend die Planung, Durchführung und Präsentation von Projekten; über die Schule hinaus Mitwirkung in kommunalen Projekten, politischen Foren und zivilgesellschaftlichen Initiativen. Die Gelegenheitsstrukturen unter Achtung und Anerkennung der beteiligten Akteure demokratieförderlich zu gestalten und zu nutzen ist Aufgabe aller an Unterricht und Schulleben beteiligten Personen und Gruppen.


2. Gelegenheiten zum Erwerb von Kenntnissen zur Aneignung von Wissensbeständen als Grundlage für Urteils- und Entscheidungsfähigkeit

Dies ist vor allem die Aufgabe des politischen Unterrichts in fachlichen, fächerübergreifenden und projektdidaktischen Kontexten. „Politisch“ in diesem Sinne ist neben dem Politikunterricht im engeren Sinne der Unterricht in den gesellschaftskundlichen Fachbereichen (Sozial- oder Gemeinschaftskunde, Geschichte, Ethik ...), aber darüber hinaus jeder Unterrichtsbereich, der politisch relevante Problembereiche zum Thema macht. Das gilt ebenso für Biologie, Erdkunde, Technik und Physik wie für Wirtschaftskunde und Rechtskunde, soweit der Erwerb einer demokratischen Urteils- und Entscheidungskompetenz die Auswahl der Gegenstände und die Gestaltung des Unterrichts bestimmen.


3. Gelegenheiten zum Erwerb von Kompetenzen für demokratisches und politisches Handeln

Dies ist vor allem die Aufgabe einer schulischen Lernkultur, die durch die Gestaltung des Schullebens und durch Kooperation mit außerschulischen Partnern Gelegenheiten zur Partizipation, zur Übernahme von Verantwortung und zur Mitarbeit im Gemeinwesen bietet. Dazu gehören die Organisation von Mitbestimmungsprozessen und die Mitwirkung an Selbstverwaltungsgremien und –institutionen, insbesondere der Klassenrat als basisdemokratische Form kollektiver Aushandlungs- und Entscheidungsprozesse und die verschiedenen Formen repräsentativer Demokratie in Gremien der schulinternen wie schulübergreifenden Mitbestimmung und Schülervertretung. Analoge Gesichtspunkte gelten für die Aktivierung der Mitbestimmungsinteressen von Lehrpersonen über die administrativ vorgesehenen Institutionen hinaus.


4. Gelegenheiten zum Aufbau und zur Entwicklung demokratischer Werte, Orientierungen und Einstellungen

Durch Unterricht und Schulleben sollen Kinder und Jugendliche soziale, moralische und demokratische Kompetenzen erwerben, Orientierungen gewinnen und persönliche Einstellungen entwickeln können, die dazu beitragen, die Bedeutung der für ein demokratisches Gemeinwesen konstitutiven Werte zu verstehen, diese in Entscheidungssituationen kritisch zu reflektieren und sie gegen demokratiekritische Einwände mit Argumenten zu verteidigen.

Stellen wir nach dieser kompakten und ziemlich abstrakten Kurzfassung die Frage nach dem qualitativen Rahmen für Demokratielernen, zeigt sich, dass das transnational anerkannte, normativ legitimierte und auch international vereinbarte Ziel einer education for citizenship mit dem Ziel des Erwerbs von Kompetenzen für demokratisches Handeln den Erfahrungsraum einer Lebensform anvisiert, in der junge Menschen Elemente der Praxis für ein Leben in der Demokratie erwerben. Mit anderen Worten: Schule soll einen Erfahrungsraum bieten, wo im Kleinen, jedoch durchaus als Ernstfall, geübt wird, was hernach im Großen die zivilgesellschaftliche Praxis bestimmen soll.

 

Datum: 18.01.2007
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