Deliberationsforum

Bundesland

  • Berlin

Neuntklässler schaffen den Rahmen für ein Deliberationsforum mit Eliten der Bundespolitik und wissenschaftlichen Experten

Projektdaten

Klassenstufen: 9
Anzahl der Schüler/innen: 9. Klassen
Anzahl der Lehrer/innen: variabel
Fachbereiche: alle
Wochenstunden: 3
Das Projekt

Deliberation ist eine Form der politischen Meinungsbildung, die kontroverse Themen durch „deliberieren“ – abwägen und aushandeln – auf einen möglichst breiten Konsens stellen will. Deliberieren und Debattieren sind Formen des demokratischen Sprechens aus dem Bereich der Civic Education, die in den USA ein weit entwickelter und fest stehender Begriff zur Förderung zivilgesellschaftlichen Verhaltens ist. Es handelt sich um eine Art politischer Diskussion mit festen Regeln, die die Bereitschaft zur Kooperation auch bei einer gegnerischen Mehrheitsentscheidung nachweislich fördert. An der John-F.-Kennedy-Schule bereitete eine 9. Klasse von Schüler/innen, die Deutsch und Englisch als Muttersprache haben, in einem wöchentlich dreistündigen, fächerübergreifenden Unterrichtsmodul das Forum zum selbst gewählten Thema „Ist Deutschland durch Terrorismus besonders gefährdet?“ vor. In dieser Vorbereitungsphase wurden Lehrer/innen und Schüler/innen durch außerschulische Expert/innen beraten und nahmen an hilfreichen Fortbildungen teil. Nach etwa acht Monaten der Arbeit fand das zweitägige Forum in einer ersten Runde mit wissenschaftlichen Expert/innen und in einer zweiten mit Politiker/innen aus den Parteien SPD, CDU, Die Grünen und PDS statt. Als Gäste waren andere Neuntklässler der JFK-Schule geladen. Sie wurden mittels Fragebögen vor und nach der Debatte über ihre Kenntnisse und Meinungen zu dem Thema anonym befragt. Der Erfolg des Projektes war bemerkenswert: Die am Projekt teilnehmenden Schüler/innen haben sich derart tiefgründig mit dem Thema auseinander gesetzt, dass die Politiker/innen ihnen wie selbstverständlich „auf selber Augenhöhe“ begegneten. Die Lehrer/innen haben wichtige Erfahrungen mit dem Abgeben von Verantwortung im Unterricht gemacht, und den Schüler/innen wurde Gelegenheit gegeben, nicht nur ihre sozialen und kognitiven Kompetenzen in einem kooperativen Prozess zu verbessern, sondern auch eigene Talente zu entdecken und auszubauen.

Der Auslöser

Zwei Teilnehmer/innen an der Multiplikatorenausbildung des BLK-Programms „Demokratie lernen & leben“ zu Berater/innen für Demokratiepädagogik stießen in diesem Fortbildungskontext auf die Methode des Deliberationsforums. In Kooperation mit Dr. Anne Sliwka und dem bundesweiten Netzwerk für Deliberation kamen sie auf die Idee, Deliberation an die John-F.-Kennedy-Schule zu tragen.

Der Weg

Die im fächerübergreifenden Unterricht kooperierenden Englisch-, Geschichts- und Deutschlehrer/innen dieser 9. Klasse nahmen die Idee, ein Deliberationsforum durchzuführen, auf. Den Jugendlichen wurde vorgeschlagen, dieses Forum unter einem selbst gewählten Thema vorzubereiten und durchzuführen. Für diese Anregung begeisterten sie sich, und das Projekt konnte im September 2004 starten. Bis zum November konnten die Jugendlichen sich auf das schwierige, kontroverse und komplexe Thema „Ist Deutschland durch Terrorismus besonders gefährdet?“ auch trotz einiger Vorbehalte der Lehrer/innen einigen. Jetzt war eine intensive Einarbeitung der Schüler/innen in Gebiete, in denen sie sich nicht auskannten, von Nöten. Schwerpunkte wie Innere Sicherheit, Bedeutung des Islam und religiöse Unterschiede mussten sie sich selbstständig erarbeiten. Dabei taten sich Schwierigkeiten, die vorher kaum abzusehen waren und die manches Mal auf alle Beteiligten wie eine unüberwindbare Mauer wirkten, auf. Aber dieser gemeinsame Weg durch Höhen und Tiefen hat Lehrer/innen und Schüler/innen stärker zusammengeführt, und die Erwachsenen lernten, was Transparenz und Abgabe von Verantwortung heißen kann. Die Arbeit der Erwachsenen wurde von der Schulleitung durch Bereitstellung einer Extrastunde zur Vor- und Nachbereitung gewürdigt und unterstützt. Auch die logistische Planung des zweitägigen Forums führten die Schüler/innen mit hintergründiger Unterstützung der Lehrer/innen durch. Für das Forum im Mai 2005 wurden hochkarätige Expert/innen aus Wissenschaft, Amt und Politik gewonnen. Hier konnte für einige Schüler/innen sichtbar werden, welche organisatorischen Talente in ihnen stecken oder wie selbstsicher sie eine derartig außergewöhnliche Veranstaltung moderieren können. Die Qualität eines Deliberationsforums macht sich aber auch an dem Umgang mit dem teilnehmenden Publikum fest. Die anderen, als Gäste geladenen Neuntklässler der John-F.-Kennedy-Schule, erhielten zu Beginn der Veranstaltung einen einführenden Informationszettel zum Thema und wurden per Fragebogen vor und nach den Diskussionsrunden befragt. Auf Grund ihres Alters und der Komplexität des Themas waren sie mit dieser politischen Auseinandersetzung teilweise jedoch überfordert. Brigitte Kather, beratende Netzwerkkoordinatorin für das BLK-Programm „Demokratie lernen & leben“ in Berlin, vermutet, dass hier ein allgemeines Problem der Methode liegen könnte: Sehr komplexe Themen kann ein „fachfremdes“ Publikum nicht durch zwei Tage der Debatte in ihrer Tiefe erfassen. Daher setzt sie sich mit der Frage auseinander, wie der Einstieg in das Thema für das Publikum erleichtert werden kann: Vielleicht helfen zukünftig statt eines Infozettels Präsentationen, die mehrere Wahrnehmungskanäle ansprechen, oder kurze Videofilme. Der Geschichts- und der Deutschlehrer der 9. Klasse wollen zukünftig die gesammelten Erkenntnisse und Erfahrungen für den Ausbau des fächerübergreifenden Unterrichts nutzen. Die Englischlehrerin will die Verbreitung der Deliberation an der Schule vorantreiben und kooperiert bereits mit weiteren Lehrer/innen.

Probleme und Lösungen

Das selbstständige Erarbeiten des Themas wurde für die Schüler/innen schnell schwierig, als sich herausstellte, dass hier noch methodische Grundlagen fehlten, z.B. zur Internetrecherche (wie unterscheidet man gute von schlechten Internetseiten?), zu Ergebnispräsentation oder Workshop-Moderation. Die Lehrer/innen nahmen daher gezielt an Fortbildungen zu Projektmanagement, Präsentation, Moderation und Kooperativem Lernen teil, in denen sie Kompetenzen erwerben konnten, die im Prozess hilfreich waren und die sie an die Schüler/innen weitergeben konnten. Auch die Bearbeitung der Materialfülle zum Thema erwies sich als Überforderung für Lernende einer 9. Klasse – hier mussten die Lehrer/innen stark eingreifen. Die Lehrer/innen mussten sich zu Anfang erst an Teamarbeit gewöhnen, was durch die Bereitstellung einer zusätzlichen Stunde durch die Schulleitung unterstützt wurde. Die projektbegleitenden Lehrer/innen setzen sich intensiv mit der Frage auseinander, wie zukünftig eine Überforderung der Schüler/innen vermieden werden kann. Eine Idee, über die derzeit in der Schule gesprochen wird, ist der Ausbau des fächerübergreifenden Unterrichts in der 9. Klasse. Hier könnten die Schüler/innen in Zukunft verstärkt methodische Kompetenzen erwerben, an Projektarbeit und selbstständiges Lernen herangeführt werden – eine Lehrerfortbildung zu selbst organisiertem Lernen ist mit mehreren Kolleginnen bereits durchgeführt worden. In der 10. oder 11. Klasse würden diese erworbenen Kompetenzen dann in die Vorbereitung eines Deliberationsforums münden.

Blitzlicht

Spontan und ein wenig von sich selbst überrascht, formulierte die Schülerin Mercedes vor einer Gruppe interessierter Eltern, Journalist/innen und Lehrer/innen, was für sie die Quintessenz des zweitägigen Deliberationsforums war: Fähigkeiten zu entdecken, von denen sie nicht ahnte, dass sie in ihr steckten.

Schule
Schulname
John-F.-Kennedy Schule
Schulart
Gesamtschule
Schulangebote
diverse
Schulanschrift

Teltower Damm 87-93, 14167 Berlin

E-Mail
school@jfks.de
Anzahl der Schüler/innen
1800
Anzahl der Lehrer/innen
190
Sonstiges pädogogisches Personal
diverse Sozialpädagog/innen für den Bereich Elementary School, High School und Berufsberatung
Ansatz der Schule

Demokratiepädagogik

Netzwerke der Schule

Netzwerk überseeischer Schulen

Modellversuche der Schule

BLK-Programm „Demokratie lernen & leben“

Wettbewerbe der Schule

diverse

Sozialraum der Schule

großstädtisch

Zusammensetzung

Schüler/innen kommen aus unterschiedlichen Gemeinden und Bezirken; sozial gehobenes Umfeld

Besonderheiten

Nachmittagsangebote, fächerübergreifender Unterricht, Projektwochen, Streitschlichterprogramm, Schülermitverwaltung, Schülerzeitung, Veranstaltung von Festen und Basaren durch Schüler/innen, Zusammenarbeit mit Eltern, Kooperation mit „Mittelhof“ (Community Learning), Durchführung des Berliner Model United Nations (BERMUN); der Vorschulbereich beginnt bereits ab 3 Jahren

Referenzen

Modellschule im BLK-Programm „Demokratie leben und lernen“

„Demokratie lernen & leben“ ist ein Schulentwicklungsprogramm, bei dem es darum geht, die Demokratisierung von Unterricht und Schulleben und die Bereitschaft junger Menschen zur aktiven Mitwirkung an der Zivilgesellschaft zu fördern.

Autoren

  • Katja Haufe