Bundesland
- Mecklenburg-Vorpommern
Ein fächerverbindendes Projekt, für das eine Schülerin die Idee in die Schule brachte
Projektdaten
Kinder erfinden Geschichten! „Aber wie schreibt eine richtige Schriftstellerin ihre Bücher?“ Nun, da die Kinder schon auf eine hohe Kompetenz im freien Schreiben und Dichten verfügen, ist diese Frage fast beantwortet, aber man steht wohl immer noch am Anfang, und das Projekt, das hier von unserer Schule beschrieben wird, soll einer längjährigen Einbindung in unseren Stundenplan entgegensehen. Entstehen sollte und entstanden ist: eine Homepage, ein digitales Hörbuch. Die Webseite im Internet ist ein geeignetes Medium, um ein Archiv der Dichtungen anzulegen, das jedes Jahr wächst. Freunde, Eltern und heranwachsende „Dichter“ können ganz unkompliziert auf den Fundus zugreifen. Das waren die Ausgangsziele - analog entstanden Theaterstücke und das Buchscript, Entwürfe für den Umschlag und viele Illustrationen zum Text.
Unsere Schülerin Luisa geht in die 3. Klasse und wohnt nicht weit entfernt von Antonia Michaelis. Sie hat uns davon in der Schule erzählt. Da kamen die Kinder auf die Idee, mit der Autorin Kontakt aufzunehmen. Luisa hat die Anfrage ganz allein in die Hand genommen. Ihr haben wir es zu verdanken, dass wir schon kurz darauf eine Lesung in der Schule stattfinden lassen konnten. Bei dieser Lesung war es der Klassenleiter der einfach fragte, ob sich Frau Michaelis auch eine direkte Zusammenarbeit mit der Schule vorstellen könnte. Im Spätsommer 2004 schrieben darauf vier Mädchen an Antonia Michaelis einen Brief. Die Antworten darauf: „Ja, warum nicht?“ Im Oktober 2004 gründeten drei mutige Mädchen und ein Junge die Buch AG. Sie trafen sich an den Notebooks und begannen ihre Geschichten aufzuschreiben. Die Gerüste ihrer Geschichten übersendeten die Kinder via Internet und E-Mail an die Schriftstellerin, die durch ihr Medizinstudium zeitlich zu beschränkt war, um direkt in die Schule zu kommen. Sie war es, die tatsächlich auf die Entwürfe der Dichtungen schaute und mit Hinweisen nicht sparte. Als sie die Entwürfe zurücksandte, wurde das Projekt von einer „Mücke“ allmählich zu einem „Elefanten“.
Die Eingangsfrage haben die Kinder einer Buch AG gestellt. Diesen Kurs haben wir schon länger an unserer Schule, und sieben Kinder lernten aktiv Schreiben und Dichten. Antnonia Michaelis ist eine Kinderbuchautorin am Loewe-Verlag. Die gebürtige Kielerin ist nun in Wieck bei Greifswald und hat Bücher wie „Die wundersame Reise von Oliver und Twist“ und „Pizzakrise“ geschrieben. Sie folgte einer Einladung der kleinen Montis, wie sich unsere Schülerinnen und Schüler gerne nennen, und stellte sich den Fragen. Dabei blieb es nicht, noch während ihres Besuchs kam die Idee, ob man nicht via Internet mit ihr zusammenarbeiten könnte. Frau Michaelis war seit diesem Treffen bereit, E-Mails zu empfangen, um die Geschichtenentwürfe der Kinder anzuschauen und die Kinder zu beraten. Das war der Beginn eines Projekts, das sich fortsetzte und dazu führte, dass Dichten im Deutsch- und Kunstunterricht Platz finden konnte. Es wurde Musik und Theater zu den Dichtungen choreografiert. Das Theater Greifswald unterstützte uns mit der Theaterpädagogin Frau Dorothea Goltzsch. Nachdem ein fester Zeitplan erstellt war, wurden in den Klassen unserer Schule Arbeitsgruppen von Kindern aufgestellt, um die Arbeit gut zu organisieren. Es gab regelmäßige Zeiten für die Musik- und Theaterproben und für das Schreiben und Gestalten. Die Medienfachräume waren reserviert, denn E-Mails der Schriftstellerin waren wichtig. Geschrieben haben die Kinder ihre Scripte auf den Rechnern, die Illustrationen wurden gescannt, und es wurden Webseiten hergestellt. Das Theaterstück wurde von 16 Kindern aufgeführt. Die mittelalterlichen Stücke auf der Flöte unterstützten die Stimmungen der fantsiereichen Dichtungen, die meist in dieser Zeit spielten. Das Bühnenbild war ein Großvorhaben im Kunstunterricht und begeisterte die Schülerinnen und Schüler unglaublich. Der Englischunterricht war verantwortlich, die Geschichten für die Kinder unserer Partnerschulen in Breslau und Lund zu übersetzen. Die Webseiten AG baute die Homepage. Als die Buch AG sich gründete, war noch nicht abzusehen, dass die Schriftstellerin in Kürze die Zusage geben würde, wöchentlich dabei zu sein, wenn sich die ambitionierten Dichter-Kinder treffen. Jeden Montag kam sie nun vorbei, und man einigte sich darauf, eine Geschichte zusammen zu erarbeiten. Dabei entstand der Gedanke an eine Ideenwerkstatt, die alle Kinder der 4. Klasse mit einbeziehen sollte. Es wurden vier Teilgeschichten gesucht. Um alle 40 „Vierties“ in den Film zu holen, haben die Buch-AG-Kinder die schon entstandene Geschichte zusammen mit Frau Michaelis gespielt. Ergebnis war, dass nun die Ideen zur Weiterentwicklung und Entfaltung des Projekts nicht mehr zu bremsen waren. Theater und Hörspiel, Homepage und ein gedrucktes Buch sollten entstehen. Das Theater Vorpommern wurde angerufen, und nachgefragt wurde die Theaterpädagogin Frau Goltzsch. Es wurden mit ihr zusammen alle Details und Schritte besprochen, damit die Geschichten gespielt werden können. Die andere Idee, nämlich ein Hörspiel entstehen zu lassen, wurde umgesetzt mit Christian Schwanz. Er ist Leiter eines Tonstudios in Greifswald. Die Idee mit der Homepage machte sich stark, weil wir feste Partnerschulkontakte nach Schweden und Polen haben und mit einer Webseite die Geschichten eine gute Ausgangsbasis für einen spannenden „literarischen“ Austausch zu bieten schienen. Zusammen mit diesen Kindern konnte begonnen werden, die Geschichten international zu bereichen und vor allem in andere Sprachen zu übersetzen. Dass jetzt noch ein richtiges Buch in Druckvorlage gebracht wird, verdanken die Kinder der Buch AG dem Kreativ-Kurs der Schule, der sich rangemacht, die Erstellung von Illustrationen anzuzetteln und das zum Gegenstand im Kunstunterricht werden zu lassen. Der Musikunterricht beschäftigte sich mit der Auswahl passender Musik, und mit der Blockflöte wurden interessante und passende Stücke zur Geschichte zusammengestellt. Wir versuchen eines der größten und langfristigsten Entwicklungsvorhaben im Bereich ästhetischer Bildung. Die selbstständige Vorarbeit im Verfassen von Erzählungen haben die Beziehung zur Autorin entwickelt, bis eine direkte Beteiligung entstehen konnte und nun feste Kurszeiten entstanden sind. Eine Besonderheit an unserer Schule ist auch, dass das kreative Schreiben jetzt neue Impulse und Inspiration erhält. Die Anstrengungsbereitschaft der Kinder konnte gesteigert werden, wenn es darum geht, komplexe und freie Geschichten zu finden. Der ganzheitliche Ansatz bei der Umsetzung von Projekten ist an unserer Schule bereits normal, in diesem Projekt jedoch wurden vor allem die künstlerischen Sparten (Theater, Schreiben, Musik, Gestalten) olympisch verbunden, und das gefällt der Schule besonders gut, vor allem aber den Kindern. Die Lehrerinnen und Lehrer konnten konsequent die Rolle der Lernbegleitung und Lernkoordination einnehmen. Sie vermittelten in den Kontakten außerhalb der Schule und halfen den Kindern, die angelegten Strukturen (Arbeitsgruppenprinzip) beizubehalten. Die Arbeit im Projekt wurde nach Kriterien beobachtet, und die Pensen nahmen in großen Teilen die Lernentwicklung der Kinder auf, sodass ein intensiver Dialog über diese Entwicklung geführt wurde.
Ein Problem war, die Unberechenbarkeit der Außenkontakte zur Schriftstellerin und feste Zeitfenster einzuplanen. Durch die zeitliche Not der Autorin waren immer wieder Verschiebungen notwendig, und die Kinder mussten sehr flexibel auf die gegebene Zeit zurückgreifen. Da das freie Schreiben für die Kinder keine pragmatische Angelegenheit war, sie dafür brannten und auch nachts nicht immer Ruhe fanden, auf den kommenden Tag warteten, um ihre Ideen vorzustellen, haben die Kinder lernen müssen, dass man Spannungen aushalten muss. Der Ganztagsschulbetrieb hat uns ermöglicht, dass wir auch am Nachmittag Zeit finden und vor allem die digitalen Hörspielaufnahmen in Angriff nehmen konnten. Eine Besonderheit war, dass im Rahmen der komplexen Umsetzung ein paralleles Kursgeflecht aufgebaut wurde. An unserer Schule arbeiten wir bereits in klassenübergreifenden Ebenen, die jetzt durch fächerübergreifende Arbeitsgruppen ergänzt wurden. Diese Struktur wurde durch einen Mehraufwand an Organisation durch die Lehrerinnen und Lehrer aufgefangen. Die Motivation dafür ging von der Begeisterung der Kinder aus.
Antonia Michaelis schrieb am 22.2.2005: Nun ist bald Ostern, und eben kommen wir von einem Verlag, der im Fernsehen von uns gehört hat und ein hundertseitiges Buch drucken wird, das sieben Kinder geschrieben haben - alles für sich Originale, wie das bei Schriftstellern sein muss. Haben wir wirklich vorhin mit einem Herrn auf einem rotledernen Sofa darüber diskutiert, wie viele vierfarbige Bilder in das Buch kommen? Habe ich wirklich heute Morgen mit einer Gruppe Drittklässler über das richtige Format für Theaterkulissen gesprochen? Ich muss auch endlich die Version für unser Hörbuch durchsehen ... Die Zeit von September bis Ende Februar ist vergangen, ohne dass ich es bemerkt habe, jedoch nicht, ohne Spuren zu hinterlassen – Erinnerungsspuren, Momentaufnahmen: Kinder-Auflauf in unserer Küche, voller wilder Ideen. Nils, erwachsen und verwundert: Seit wann esst ihr dunkle Ökoschokolade? Wir, zu viert auf dem Boden herumkriechend, drei Kinder und ich, in einem Kurztheater für die Viertklässler, die mithelfen sollen. Wir sammeln Geschichten ein. Wir lesen. Wir suchen aus. Fernsehkabel auf der Wiese in Eldena: Minusgerade bei der Klosterruine. Lottis mittelalterliches, rötliches Hexenhaar im eisigen Wind. Lena umklammert eine sturmgefährdete Fackel. Ich befestige mit bunten Heftklammern ein weißes Tuch an einem NDR-Scheinwerfer. Unser Zeichner Berti am flackernden Lagerfeuer. Apfelsaft und Doppelkekse in der Schule. Tina denkt sich Unterwasser-Apfelbäume aus. Anna mailt lange Teile der Geschichte. Jovi verjagt Wölfe mit Digitaluhren. Ich werde vor einen Computer gezerrt: Guck mal, wir haben jetzt sogar eine eigene Internetseite zur AG Buch! Noch fehlt der Schluss. Der Mönch mit dem Migräneanfall muss geheilt werden, und auch die blaue Fledermaus wollten wir zurück in Boras Mutter verwandeln. Da halte ich es doch mit Jovi: Also, ich brauche jetzt noch mal die ganze Geschichte ausgedruckt, mit allen Einzelteilen. Ich habe total den Überblick verloren. Vergebt mir: Ich auch. Aber jetzt muss ich mich wirklich daran setzen, den Mittelteil noch ein wenig zu bügeln! Joschka nach Arbeit im Tonstudio: „Was ist mit meiner Stimme los?“, fragt er den Leiter des Tonstudios. Beim Abspielen der Geschichte wird es ihm klar, ohne Vorwarnung hatte der Ton-Experte die Stimme so verzerrt, dass er wie ein uralter Mann sprechen konnte, um seine Rolle damit richtig zu besetzen. Bei den Aufnahmen war es nur ein großer Schreck, doch dann eine unglaubliche Erfahrung. Jovi und Berti bei der Besprechung der Illustrationen: Jovi schaut auf den Entwurf für den Buchumschlag: „Was ist das hier für eine Kelle an der Uhr?“ Bertis Antwort: „Das ist ein Uhrenpendel!“ Bei der Überarbeitung des Geschichtenteils (Nadjas Geschichte für Bora): „Wie könnte Nadja die Karte vom Kloster finden?“ Ideen: alter Klosterkeller mit Fahrkartenautomat, Verzeihung, Geheimkartenautomat! Mystische Kiste mit Handabdrücken und geheimnisvollen Buchstaben! Nach Berührung eines Mauersteines öffnet sich die Wand, ein Gesicht erscheint, und aus der Mundöffnung schießt die Karte! Alle weiteren Ideen tun hier nichts zur Sache. Sie sind meist im Gelächter untergegangen. Später hat die Buch AG noch sehr konzentriert weitergearbeitet. Christina über Antonia Michaelis: „Wenn Antonia einmal Schokolade isst, dann ist sie den ganzen Tag lustig und sprudelt vor Ideen.“ Charlotte beim Dreh mit dem NDR: Versprecher: „Los, wir müssen zu Klosterurine!“ Nachtrag von Jonas: „Guter Einfall für unsere Geschichte!“ Lehrer, die nicht genau zuhören: Alle reden durcheinander und wollen ein Amulett in die Geschichte einbauen. Nils Kleemann ist gerade beschäftigt und hört nur mit halbem Ohr zu: „Was für ein Omelett?“ (Zu seiner Entschuldigung: Die Buch AG war an diesem Abend in der Küche der Autorin!)
Das Projekt erhielt einen Preis im Wettbewerb der Kulturstiftung der Länder „Kinder zum Olymp“ 2004/2005