Die Demokratie steht vor herausfordernden Zeiten. „Wir haben uns an rechte Gewalttaten gewöhnt. Bei vielen Einzelfällen bleibt mittlerweile der gesellschaftliche Aufschrei der Empörung einfach aus“, stellt der Journalist und Künstler Michel Abdollahi in der eröffnenden Keynote fest. Umso wichtiger sei es, sich dem entgegenzustellen. „Geben Sie nicht auf!“, ruft er ins Publikum und erntet viel Beifall.
Abdollahi bringt auf den Punkt, was viele der rund 400 Teilnehmenden auf dem OPENION-Bundeskongress am 26. und 27. September 2019 in Berlin antreibt. Denn egal, ob sie aus Bundes- oder Landesministerien kommen, ob aus Behörden oder der Jugendarbeit, egal ob Schülerinnen und Schüler oder Lehrkräfte, die OPENION-Beteiligten haben eines gemeinsam: Sie brennen für das Thema Demokratie. Das wird sehr deutlich bei dem zweitägigen Kongress unter dem Motto „demokratiebildung.heute“, auf dem die Erfahrungen aus zwei Jahren Projektarbeit vorgestellt werden.
Mit OPENION sei es in kurzer Zeit gelungen, zahlreiche Menschen zusammenzubringen, die sich für die Normen und Werte dieser Demokratie engagieren, lobt der Leiter des Referats „Demokratieförderung“ im Bundesfamilienministerium, Thomas Heppener, bei der Gesprächsrunde zum Thema „Erfolgreiche Kooperationen in der Demokratiebildung“. Der Geschäftsführer der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, Frank Hinte, zieht eine positive Bilanz: „Keiner der 220 Projektverbünde, die gestartet sind, wurde abgebrochen.“ Dr. Thomas Drescher, Staatssekretär des Brandenburger Bildungsministeriums, sieht angesichts der Wahlergebnisse in seinem Land dringenden Bedarf:
„Die Schulen müssen unsere Jugendlichen befähigen, sich zu beteiligen und sich mit anderen Meinungen auseinanderzusetzen.“ Dr. Thomas Drescher
Demokratiebildung, das heißt inhaltlich, sich mit aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen zu beschäftigen. Methodisch geht es darum, Kinder und Jugendliche Teilhabe erfahren zu lassen. „Ein ganzheitliches Bildungsverständnis bedeutet, die Schülerinnen und Schüler immer wieder zu fragen, was sie wollen und welche Ideen sie haben“, sagt Frank Hinte. Ein gutes Beispiel ist das Aula-Projekt an der Pestalozzi-Realschule in Freiburg. Über ein schulinternes soziales Netzwerk können die Schülerinnen und Schüler neue Ideen für das Schulleben einbringen, diskutieren und abstimmen lassen. Das kommt bei den Jugendlichen gut an und wird viel in Anspruch genommen. Doch Dejan Mihajlović, Lehrer an der Pestalozzi-Realschule, macht deutlich, dass Partizipation nicht immer einfach ist: „Durch Aula haben die Schüler einen monatlichen Smartphone-Tag an der Schule eingeführt. Mit anderen Worten, ich muss manchmal auch Dinge akzeptieren, die ich vielleicht gar nicht so gut finde.“
Partizipation wird auch auf dem Bundeskongress praktiziert. In den Workshops ist genügend Zeit für Diskussionen zwischen den Teilnehmenden. Bei den Podiumsgesprächen wird das Publikum immer wieder aufgefordert, sich zu Wort zu melden. Einige Methoden, wie man dialogisch mit Jugendlichen arbeiten kann, werden auch in der Ausstellung gezeigt, die den Bundeskongress begleitet. Im Rundgang gibt es interaktive Spiele und viele andere Anregungen für die Praxis. Außerdem stellt die Ausstellung einzelne Projekte vor – eine Fülle an Ideen und Impulsen.
OPENION ist es gelungen, in allen 16 Bundesländern, die verschiedensten Akteure zum Thema Demokratiebildung an einen Tisch zu bringen, von Landesministerien und Behörden bis zu den Schulen. Entscheidend für die Umsetzung der Projekte ist dabei die Kooperation der Schulen mit außerschulischen Partnern, wie etwa Jugendclubs, Kommunen, Gedenkstätten oder Vereine. „Dadurch konnten Projekte verwirklicht werden, die sonst an den Schulen aus Mangel an Ressourcen und Zeit nicht möglich gewesen wären“, sagt Heike Nothnagel von der sächsischen Landeszentrale für Politische Bildung. Auch für die außerschulischen Partner ergeben sich ganz neue Möglichkeiten. „Die Kooperation mit einer ganzen Schule, das war faszinierend. Über 400 Schüler und Schülerinnen waren beteiligt, das Thema hatten sie sich selbst gesetzt“, berichtet Bettina Huppert-Hingst vom Bildungszentrum in Saalfeld.
Auch wenn sich OPENION vor allem an die erwachsenen Akteure richtet, im Mittelpunkt stehen letztendlich Kinder und Jugendliche. Über 100 Schülerinnen und Schüler, die sich in Projekten engagieren, sind zum Kongress gekommen.
„Wir werden hier immer wieder aufgefordert, unsere Meinung zu sagen. Das finde ich gut“ meint Matthias aus Soest.
„Wir fühlen uns ernst genommen“, sagen auch Luna, Jette und Isabell vom Projekt „Trainkids“ aus Kleve, das sich mit Migration aus Südamerika in die USA beschäftigt. Durch den Kongress fühlten sich die Drei in ihrem Engagement bestätigt. „Hier haben wir viele andere Jugendliche kennengelernt, die tolle Projekte machen.“
Voneinander lernen und Netzwerke schaffen – für viele Teilnehmende ist das die wichtigste Bereicherung durch OPENION. Der Bundeskongress bietet die Möglichkeit, auch über die Landesgrenzen hinweg Kontakte zu knüpfen. Vor allem in den Workshops kommen Teilnehmende mit gleichen Interessensgebieten zusammen. Oder ganz praktisch: „Ich treffe die Leute, die ich in Zukunft als Referenten für einen Workshop einladen könnte“, erzählt die Integrationsbeauftragte von Ladenburg, Parul Schreier. Für viele Teilnehmende bedeutet der Kongress auch eine moralische Unterstützung in ihrem Engagement, meint Daniel Schumacher von politik-digital e.V.:
„Vor allem in den kleineren Kommunen sind wir häufig als Einzelkämpfer unterwegs. Der Kongress gibt mir Hoffnung, weil er zeigt, dass wir viele sind, die sich für Demokratie engagieren.“ Daniel Schumacher
Doch was passiert mit der Demokratie, wenn Rechtspopulisten immer häufiger Emotionen statt Sachthemen ansprechen? Welche Rolle spielen Emotionen im politischen Diskurs? Dieser Frage gehen die Politik- und Kommunikationswissenschaftlerin Prof. Dr. Paula Diehl und die Journalistin Hatice Akyün in einem Wortwechsel nach. Diehl stellt zunächst fest, dass Emotionen wie Wut oder Empörung nötig seien, um etwas verändern zu wollen. Problematisch werde es aber, wenn in einem hochemotionalisierten politischen Diskurs der demokratische Dialog immer schwieriger werde. Die Journalistin Akyün erklärt, für sich daraus Konsequenzen gezogen zu haben. Allein durch Fakten seien viele Anhänger der AfD nicht mehr zu erreichen. Journalisten müssten sich heutzutage mit der „guten Sache gemein machen“, Wut zeigen, und deutlich machen, wenn eine rote Linie überschritten würde.
Demokratiebildung, das bedeutet aktiv zu werden. Und so machen die beiden Impulsvorträge, die Patrick Stephan von Fridays for Future und Daniel Seitz von #unteilbar zum Ende des Kongresses halten, viel Mut zum Handeln. Es zeigt sich, dass Fridays for Future auch die anwesenden Jugendlichen bewegt. Wie kann man sich gegen die Vereinnahmung durch Parteien wehren? Wie viel Vielfalt muss eine Sammelbewegung ertragen? Diese Fragen lösen eine angeregte Debatte aus. Seitz plädiert dafür, Prioritäten zu setzen:
„Gibt es nicht ein übergeordnetes Thema, das uns alle verbindet? Das dürfen wir nicht aus den Augen verlieren.“ Daniel Seitz
Ein Motto, das nicht nur für Protestbewegungen, sondern auch für ein Programm wie OPENION gelten kann.
Am Ende des Bundeskongresses stellt die Geschäftsführerin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, Heike Kahl, fest, dass das OPENION-Programm eine Basis geschaffen hat. Nun ginge es darum, in den Ländern im Gespräch zu bleiben und die Kooperationen fortzusetzen. Das sei wie in der Physik: „Ein Impuls ist umso größer, je schneller und massenreicher der Körper ist, der in Bewegung gesetzt wurde.“ – ein kraftvolles Ende für einen mutmachenden Kongress.