Grundschule mit Lernzeit

DKJS/ D. Ibovnik
© DKJS/ D. Ibovnik

Mit dem Bekenntnis: „Wir sind eine gebundene Ganztagsschule“ hat sich die Albert-Schweitzer-Schule Wedel auf den Weg gemacht. Schritt für Schritt hat sie Veränderungen umgesetzt. Maßstab für die Qualität ist das Wohl des Kindes. Immer mehr Eltern sind überzeugt, dass diese Ganztagsschule für ihr Kind die besten Möglichkeiten für die Entfaltung des selbständigen Lernens und der Lebensfreude bietet.

Die Zweitklässlerin Alina meldet sich. Sie ist mitten in der Lernzeit. Sie weiß bei einer Aufgabe nicht weiter. Alina überlegt, ob sie ihre Nachbarin und Freundin Hannah fragt oder aber ihre Lehrerin. Wenn Alina ihre Lehrerin braucht, schnellt ihr Arm nach oben, solange bis sie bemerkt wird und die Lehrerin eine nach Alina bezeichnete Wäscheklammer an den Papprand einer Klammerbox steckt. Das wiederum hat Alina beobachtet und macht erst mal an anderer Stelle weiter, denn ihre Lehrerin Anke Horn ist gerade mit Robert im Gespräch. Er hat es genauso wie Alina gemacht. Sobald Robert sein Problem klären konnte, fällt die Klammer mit seinem Namen wieder in die Box und Alina kommt nach vorn.

 

Diese Methode sorgt für Ruhe und Gerechtigkeit. Anke Horn sitzt entspannt und aufmerksam an ihrem Tisch. Für die Einzelgespräche hat sie neben sich einen freien Stuhl. Nur ab und zu streift ihr Blick durch die Klasse, um nachzusehen, ob ein anderer ihre Hilfe braucht. Meldet sich jemand, steckt sie dessen Klammer an die dafür vorgesehene Stelle. 

Die Grundschule Wedel hat für ihr Veränderungsvorhaben im rahmen der Mitarbeit im Netzwerk Ganztagsschule eine Zielvereinbarung geschlossen.

Lernzeit ist für Alina und ihre Mitschüler Arbeitszeit. Neun Ordner zeigen das Pensum für ein ganzes Schuljahr. Je nachdem, wo das Kind gerade steht, birgt Alinas Lernplaner immer nur einen Teil von Aufgaben aus dem Gesamtprogramm. Immer die Aufgaben, die Alina wegen ihrer Vorleistungen gelingen können, werden kopiert und in ihren Hefter gesteckt. Alina entscheidet selbst, wann sie fertig ist. Ihr ist es nicht schwer gefallen, dafür selbst Verantwortung zu übernehmen. Würde sie allzu sehr „bummeln“, merkt sie das entweder selbst oder ihre Lehrerin fragt vorsichtig nach. Ihr Lernplaner hat auf der ersten Seite eine Tabelle, auf der mit einem „Häkchen“ signalisiert wird: „Ja ich bin fertig!“. In diesem hält sie ihre Fortschritte fest. Ihre Lehrerin bestätigt die Qualität. Stimmt alles, dann legen sie und Alina gemeinsam das nächste Pensum fest. Die Qualität der Lernprozesse in der Lernzeit hängt ganz entscheidend von der Lernumgebung ab. Die Merkmale der Lernzeit-Lernumgebung lassen sich schnell erfassen: Regeln, Struktur, Kommunikation, Material, Transparenz in den Lernanforderungen, Partizipation, Raum und Lernbegleitung.

Immer wieder fragen einige Eltern verunsichert nach: „Lernt mein Kind auch ausreichend, wenn es selbst entscheiden kann, wie schnell und was es lernt?“ Die Ganztagsschule in Wedel unterstützt auch die Eltern bei ihrem Haltungswechsel.

Lernkultur gibt es nicht „mal eben so“

Die so zu beobachtende Lernkultur in der Lernzeit ist das Ergebnis konsequenter Veränderungsarbeit. Der Prozess wurde im Rahmen der Netzwerkarbeit fokussiert. Erst auf der Basis eines Konferenzbeschlusses hatte sich die neue Lernkultur tatsächlich ausgebreitet. Zunächst durch eine darauf bezogene Qualifikation und Konzeption. Das selbstverantwortliche Arbeiten mit Lernordnern und die Einführung der Lernzeit sind mittlerweile bei allen Lehrerinnen und Lehrern akzeptiert, weil diese beides verstanden und mit gestaltet haben. Das Team um Schulleiterin Leuner folgt dabei dem Grundgedanken des „Fördern und Forderns“, aber vor allem den Erfordernissen eines ganztägigen Schullebens. Kinder der Grundschule sind auf einen stetigen Wechsel von Lernarrangements angewiesen. Die gebundene Ganztagsschule bietet dafür Möglichkeiten und unterstützt den Ansatz nicht nur durch die Akzeptanz der Lernzeit. Auch das Team der Erzieherinnen und Erzieher konnte überzeugt werden, schon am Vormittag tätig zu werden. Traditioneller Weise beginnt die Arbeit der Erzieher erst um die Mittagszeit.

Ein Schultag an der Albert-Schweizer-Schule


Alina hatte schon eine Unterrichtsstunde, die die nicht 45 Minuten sondern 60 Minuten dauert. Nach dem Morgenkreis kann sich Saskia immer besonders gut konzentrieren und lernt „neue Dinge“ besonders schnell. In der darauf folgenden Lernzeit ist sie ihr eigener „Regisseur“ und arbeitet in ihrem Lernplaner. Unterricht und Lernzeit findet im „Klassenraum“ statt. Ab 11 Uhr zieht Alina um, nimmt aber nicht viel mit. Wohin sie jetzt mit ihrer Klasse geht, stehen Spiele und Bücher in den Regalen, findet sie Matten, gibt es einen Baldachin, aber keine Tafel. In der Obhut ihres Erziehers entspannt sich Saskia von drei Stunden „Arbeit“. Nach einer weiteren Stunde wechselt sie in den nächsten Unterricht. Danach gibt es Mittagessen, an das schließen sich entweder Arbeitsgemeinschaften oder noch einmal Unterricht und Lernzeiten an. Ab 15 Uhr geht es entweder nach Hause oder in die unverplante Freizeit, wobei Hannah, Alinas Freundin, sich noch auf eine AG freut. Auf die Frage, was das Beste an ihrer Schule sei, weiß sie sofort eine Antwort: „Das Mittagessen!“ Schulleiterin Leuner hat sich entschlossen, das Essen nach den Wünschen der Kinder auszuwählen. Mit Erfolg, wie die spontane Reaktion Hannahs beweist.

Multiprofessionelle Zusammenarbeit

Die Lehrerinnen und Lehrer und die Erzieherinnen und Erzieher haben sich auf den gebundenen Ganztag verständigt. Durch eine organisatorische Verzahnung betreuen Erzieher und Lehrer die Klassen gemeinsam, allerdings zeitversetzt. Hat die eine Klasse Unterricht und Lernzeit, ist die andere bei ihrem Erzieher. Jetzt möchten beide Berufsgruppen neue Ziele abstecken. Neben der organisatorischen Verzahnung wollen beide auch auf der Ebene von Bildung, Erziehung und Betreuung aufeinander zugehen und Lösungen entwickeln.

Die Klingel läutet nur am Ende der Pause. Mit diesem „Trick“ können vor allem die Lehrerinnen und Lehrer gelassen den Unterricht oder die Lernzeit beenden. Es klingelt vor allem deshalb nach der Pause, weil das Schulgelände verwinkelt und weitläufig ist. Die zahlreichen Spielgeräte, Fußballtore als auch Bäume und Sträucher lassen die Kinder die Zeit vergessen und doch gibt es einen Rhythmus. Die Klingel unterstützt die Kinder beim Start der nächsten Phase. Diese und andere Strukturhilfen helfen und befähigen die Kinder, sich auszuschöpfen. Martin (3. Klasse) will nicht nur toben, sondern auch lernen und sagt: „... wenn ich das eine mal vergesse, dann heißt das nicht, das ich das nicht will!“ Er ist mit im Kinderrat und hat dafür gekämpft, dass es einen großen Kletterstern auf dem Schulhof gibt. Kinder der 3. und 4. Klasse treffen sich regelmäßig, um Projekte in Angriff zu nehmen und erfolgreich umzusetzen. Der Rat schrieb den Brief an den Bürgermeister, der darauf hin überzeugt war, dass der Kletterstern beschafft werden muss.

Die Kasse des Schulträgers ist in Wedel sicherlich voller als anderswo, trotzdem ist die Ganztagsschule auf der einen Seite eine Brennpunktschule. Auf der anderen Seite ist sie aber auch eine Schule für alle Kinder. Hier lernen Kinder aus „armen und reichen“ Elternhäusern, Kinder mit und ohne Geschwister, wohl behütete und eher vernachlässigte Kinder, deutscher und nicht-deutscher Muttersprache, behinderte und nicht-behinderte Kinder, verhaltensauffällige, schüchterne, ängstliche, (hoch-)begabte, ungeschickte Kinder – jedes für sich eine eigene Persönlichkeit. Um auch für die eher bildungsnäheren Eltern anziehender zu werden, widmet sich das Team um Schulleiterin Leuner der Hochbegabtenförderung. Der Ausbau der Forscherwerkstatt gilt als eine Option. Wird diese mit einem ausgefeilten pädagogischen Konzept in Betrieb genommen, ist das sicher ein nächster Höhepunkt an der Ganztagsschule in Wedel.

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