Diese Gruppe sollte sich regelmäßig mit dem Thema beschäftigen und für Schüler:innen oder Kolleg:innen, die Rassismus erfahren, ansprechbar sein. Weiter würde ich Schulen raten, sich für ihren Organisationsentwicklungs-prozess, den es hier in jedem Fall braucht, von externen Personen begleiten zu lassen. Sie, also Schulen, werden den Prozess nicht allein gehen können. Schulen brauchen Critical Friends. Sie sollten nicht als Einzelschule agieren, sondern in einem Netzwerk an Schulen, die sich alle auf den Weg machen, um Diversitätssensibilität zu leben. Schulen sollten nicht isoliert bleiben, sondern ein Netzwerk knüpfen. Auch müssen Schulleitungen für den Prozess zeitliche und personelle Ressourcen zur Verfügung stellen. Abschließend würde ich Schulen auch raten, eine Schulkultur der Wertschätzung aufzubauen, zum Beispiel wenn es um die Elternarbeit geht. Auch das ist ein wichtiger Baustein progressiver, diversitätssensibler Schulen.
Vielfalt entfalten: Wie kann eine Einzelschule Rassismuskritik im Schulalltag und Unterricht einbinden?
KF: Lehrkräfte sollten in Bezug auf Rassismuskritik grundständig ausgebildet sein. Wenn sie das nicht sind, dann würde ich diesen Lehrkräften raten, sich fachwissenschaftlich mit Rassismuskritik auseinanderzusetzen. Es gibt mittlerweile hervorragende Literatur, die verwendet werden kann. Denn Lehrkräfte müssen erst einmal die Kenntnisse und die Kompetenz erwerben, um ermitteln zu können, was Rassismus ist und was nicht. Erst dann können sie es fachdidaktisch übertragen. Im zweiten Schritt geht es darum, lebenslanges Lernen nicht nur für die Schüler:innen zu initiieren. Denn lebenslanges Lernen bezieht sich auch auf die Lehrkräfte selbst. Lehrende kommen nicht umhin, regelmäßig und freiwillig Fortbildungsveranstaltungen und Anti-Rassismus-Workshops zu besuchen. Denn in erster Linie geht es bei der Rassismuskritik nicht darum, anderen Menschen etwas beizubringen, sondern zu schauen, was hat Rassismus mir beigebracht, obwohl ich nicht rassistisch sein will. Hier sind vier Fragen sehr hilfreich. Die erste Frage lautet: ‘Was hat Rassismus mir beigebracht, obwohl ich nicht rassistisch sein will?’ Dabei geht es um den Innenbezug. Eine Frage, die dazu anregt, sich mit sich selbst zu beschäftigen. Die zweite Frage lautet: ‘Was passiert rassismusrelevantes in meinem Klassenraum und in meinem Lehrer:innenzimmer?’ Wenn Lehrkräfte erlernen, was Rassismus ist und was dieser mit einem selbst gemacht hat, kann Rassismus im Klassenzimmer oder Lehrer:innenzimmer auch erkannt werden. Identifikation ist also der zweite Schritt. Die dritte Frage lautet: ‘Inwiefern reproduzieren meine Schulbücher und Unterrichtsinhalte Rassismus?’ Lehrkräfte werden Dinge lernen wahrzunehmen, die sie vorher nicht wahrgenommen haben. An dieser Stelle möchte ich Lehrkräften und Schulen Mut zusprechen, aktiv zu werden. Zum Beispiel Briefe an Schulbuchverlage zu schreiben. Diese landen nicht im Papierkorb, sondern werden gelesen. Die vierte Frage lautet indes: ‘Was muss ich eigentlich machen, damit Rassismus in meinem Unterricht ein Stück weit weniger vorkommt?’ Lehrkräfte und Schulen brauchen Unterrichtsbeispiele, um selbstständig Materialien entwickeln zu können. An dieser Stelle sei gesagt: Lehrkräfte und Schulen sollten nicht auf den großen Wurf warten oder darauf, dass Fachdidaktiker:innen kommen und Unterrichtsmaterialien zur Verfügung stellen. Lehrkräfte müssen die Materialien, die für den eigenen rassismuskritischen Unterricht benötigt werden, selbst entwickeln. Auch würde ich Schulen und Lehrkräften raten, keine rassismusrelevanten Wörter zu verwenden. Denn es braucht sie nicht, um Rassismus zu thematisieren. Lehrkräfte sollten sich Materialien genau anschauen, die sie verwenden und sich im Kollegium austauschen. Kollegiale Fallberatungen sind sehr wichtig.
Vielfalt entfalten: Was kann eine Einzelschule tun, um von Rassismus betroffene Personen zu schützen und zu empowern?
KF: Empowerment und Safe Space heißt für mich in erster Linie ein bewertungsfreier Raum und geteilte Erfahrungen. Ein bewertungsfreier Raum ist an Schule jedoch niemals gegeben. Denn Lehrkräfte können ihren Schüler:innen nicht suggerieren, dass sie sich in Bezug auf Rassismus empowern können und im nächsten Monat eine Klassenarbeit schreiben und diese dann benoten. Das passt nicht. Hier gibt es keinen bewertungsfreien Raum. Was den zweiten Punkt betrifft, nämlich den geteilten Erfahrungsraum: Ich selbst erfahre Rassismus in unserer Gesellschaft. Mein Leben unterscheidet sich jedoch fundamental von dem Leben Schwarzer Frauen, auch in Bezug auf ihre Rassismuserfahrungen. Wer also bin ich, dass ich Schwarze Frauen in Bezug auf Rassismus empowern kann? Das kann ich nicht. Auch könnte ich meine Schüler:innen in Bezug auf Sexismus nicht empowern, weil ich Sexismus nicht erfahre. Was ist für Empowerment also notwendig? Vor allem braucht es Zeit, um mit außerschulischen Partner:innen zu agieren. Außerschulischen Partner:innen, die einen bewertungsfreien und benotungsfreien Raum herstellen und geteilte Erfahrungen besitzen. Schulen sollten die Möglichkeit nutzen, um mit außerschulischen Partner:innen Empowerment-Räume zu eröffnen und sich selbst dabei etwas zurückzuhalten. Das heißt nicht, dass Schulen völlig ohnmächtig sind. Schule kann ein rassismussensibles Unterrichtssetting anbieten. Außerdem möchte ich betonen, dass Weiße Lehrkräfte für Weiße Schüler:innen sehr viel bessere Rollenvorbilder sein können, als ich das zum Beispiel sein könnte. Weil sie anderen Weißen Menschen, die in ihrem Leben ebenfalls keine Rassismuserfahrungen machen, besser darstellen können, was sie gefühlt haben, als sie Rassismus zum ersten Mal wahrgenommen und welche Strategien sie gelernt haben, um Rassismus zu bekämpfen. Es gibt unterschiedliche Lebensrealitäten in unserer Gesellschaft. Aber Lehrkräfte können vor ihrer eigenen Haustür kehren und den Schüler:innen eigenständige Erfahrungen mitgeben.
Vielfalt entfalten: Im Projekt „Vielfalt entfalten” werden Lehrkräfte für die verschiedenen Formen von Diskriminierung sensibilisiert. Dabei geht es auch darum, bei der eigenen Haltung anzusetzen. Was braucht es neben der Sensibilisierung noch, damit Schule für alle ein diskriminierungsfreier Raum ist?
KF: Es braucht die Anerkennung, dass Diskriminierung und Diskriminierungserfahrungen in Schule stattfinden. Und es braucht Mut ein Programm zu initiieren, Zielsetzungen zu formulieren, diese mit einem Zeitplan zu verknüpfen und Meilensteine auszuloten. Außerdem müssen Lehrkräfte meiner Meinung nach auch eine Kompetenz erwerben, um über sich selbst zu sprechen. Lehrkräfte haben häufig gelernt, über andere zu sprechen, wie etwa über Schüler:innen, über Eltern und auch über Kolleg:innen. Was sie jedoch nicht gelernt und wofür sie oftmals auch keine Zeit haben, ist die Auseinandersetzung mit dem Organisationsentwicklungsprozess. Dabei stellen folgende Fragen wichtige Bausteine dar: Wie sind wir in unserem Standort aufgebaut? Wie können wir mit Nicht-Regierungsorganisationen, NGOs, Vereinen oder auch Migrant:innenselbstorganisationen kooperieren, die an unserem Standort anwesend sind? Wie können wir nach außen wirken? Individuelle Maßnahmen müssen flankiert werden von strukturellen Maßnahmen. Wenn Schulen keine strukturellen Maßnahmen entwickeln, wie zum Beispiel im Rahmen des Organisationsentwicklungsprozesses externe Beratungen in Anspruch zu nehmen, außerschulische Partner:innen an die Schule zu holen oder sich von Nicht-Regierungsorganisationen beraten zu lassen, dann erfüllen sie die strukturellen Maßnahmen nicht. Dann bleibt es immer an der einzelnen Lehrkraft hängen, ob Rassismus eine Rolle spielt oder eben nicht.