Schule als Institution als Ganzes in den Blick nehmen
Bei der Etablierung einer diskriminierungskritischen Schulentwicklung sieht Frau Gomolla in Deutschland bisher noch eine politische Leerstelle, da der politische Mainstream-Diskurs noch keine Herangehensweise in der Praxis ermögliche. Die Bildungssteuerung schaffe es noch nicht, Ungleichheit im Schulsystem tatsächlich abzubauen. Stattdessen führe man Probleme oft noch auf Kinder, Jugendliche und deren Elternhaus zurück. Maßnahmen und Projekte wie „Vielfalt entfalten“ müssten deshalb in die breite Bildungssteuerung verankert werden, um wirksam sein zu können.
Einen Fortschritt sieht Prof. Dr. Gomolla dennoch in der Tatsache, dass sich durch wissenschaftliche Erkenntnisse zu institutioneller Diskriminierung im Schulkontext der Interventionspunkt auch in Deutschland verlagert habe – weg von Schüler:innen und deren Erziehungsberechtigten hin zur Schule als institutionellem Ort. Es reiche demnach nicht aus, nur Fortbildungen zu Diversität und Diskriminierung für pädagogische Fach- und Lehrkräfte anzubieten. Stattdessen beinhalte eine diversitätssensible und diskriminierungskritische Schulentwicklungsperspektive auch, dass alle Beteiligten ihre jeweilige Schule daraufhin überprüfen. An welchen Stellen und durch welche Routinen, Regeln und Vorschriften wird institutionelle Diskriminierung wirksam? Gleichzeitig plädierte sie dafür, die Aus- und Weiterbildung für Lehrkräfte dahingegen zu reformieren, dass ein historisches Verständnis von Schule sowie die unterschiedlichen Diskriminierungsformen und deren Wirkweisen gelehrt werden.
Die Individualität der Lernenden wahrnehmen und stärken
Im Austausch mit den Teilnehmenden gab Frau Gomolla ihre Einschätzung zu Diskriminierungsschutz und sprachlicher Diversität. Zu Letzterem merkte sie z.B. an, dass diese in alle Kernbereiche des schulischen Handelns integriert und in den Fachunterricht mit einbezogen werden müsse – wie etwa in der Schweiz. Sie verwies auf das FörMig-Kompetenzzentrum der Universität Hamburg, das ein Modellprogramm für die Sprachförderung von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund umsetzt und sich dabei u.a. dem Konzept der durchgängigen Sprachbildung bedient (siehe Talk von Dr.’in Mona Massumi). Diskriminierungskritische Schulentwicklung beinhalte außerdem einen umfassenden Diskriminierungsschutz an Schule. Auch hier sei eine ganzheitliche Schulentwicklung wichtig, da es viel Zeit in Anspruch nehme, schulinterne Strukturen für Diskriminierungsschutz zu etablieren. Dies könne am besten gelingen, wenn das Thema auf Schulleitungsebene angedockt ist und Schüler:innen durch eine Schulkultur der Anerkennung vermittelt wird, dass ihre Anliegen ernst genommen werden. Eine Teilnehmerin merkte an, dass Diskriminierungsschutz gut verzahnt werden könne mit Kinderschutz: Das Vorgehen im Kinderschutz bietet wichtige Eckpfeiler für einen vertrauensvollen und professionellen Umgang mit Diskriminierungen in der Schule. Auch die Kooperation mit externen Beratungsstellen sei essenziell.
Abschließend betonte Frau Gomolla, dass es bei der diskriminierungskritischen Schulentwicklung nicht um didaktische Formen der Individualisierung in der Förderung von Kindern und Jugendlichen gehe, sondern darum, die Individualität der Schüler:innen wahrzunehmen und zu stärken.
Literaturhinweise
Krüger-Potratz, M. (2005): Interkulturelle Bildung. Eine Einführung. Münster: Waxmann.
Gomolla, M. (2005): Schulentwicklung in der Einwanderungsgesellschaft: Strategien gegen institutionelle Diskriminierung in England, Deutschland und in der Schweiz. Münster: Waxmann.