Wir durften den Politologen, Menschenrechtsaktivisten und Co-Autor des Afrozensus Joshua Kwesi Aikins in unserem Talk-Format „Vielfalt im Gespräch” begrüßen. Wir sprachen mit ihm über Anti-Schwarzen Rassismus und dessen vielfältige Verschränkungen mit anderen Formen von Diskriminierungen im Schulkontext
In der Antidiskriminierungsarbeit und -forschung etabliert sich zunehmend der Standard, von Rassismen im Plural zu sprechen und die unterschiedlichen Zuschreibungen für einzelne Gruppen konkret in den Blick zu nehmen. Zu jenen Gruppen zählen beispielsweise Schwarze Menschen, muslimisch oder asiatischer gelesene Menschen, Sinti:zze und Rom:nja sowie Jüd:innen. Ziel der Betrachtung ist es, die Dynamiken besser zu verstehen, Empowerment-Angebote zielgruppengerecht zu gestalten und letztlich rassistische Strukturen gezielt abbauen zu können. Vor diesem Hintergrund nahmen wir in der Ausgabe von „Vielfalt im Gespräch” die spezifischen Muster in den Blick, die Schwarze Schüler:innen, Lehrer:innen, Eltern und Sozialpädagog:innen bezogen auf den Schulkontext erleben.
Der Afrozensus
Die spezifischen Erfahrungen von Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen Menschen im Bildungssystem sind von schablonenhaften, institutionell eingebetteten Menschenrechtverletzungen gekennzeichnet. Der UN-Antirassismus-Ausschuss stellt fest: Menschen afrikanischer Herkunft sind disproportional von Diskriminierung betroffen. Die Studie Afrozensus, eine Arbeit von Each One Teach One (EOTO) e.V. und Citizens For Europe (CFE), identifiziert Muster des Anti-Schwarzen Rassismus im deutschen Schulsystem: Mehr als die Hälfte der dazu befragten Schwarzen, afrikanischen und afrodiasporischen Kinder und Jugendlichen haben in der Schule gesagt bekommen, lieber eine Ausbildung zu absolvieren oder einen Beruf im Bereich Sport und Entertainment zu ergreifen, anstatt das Abitur abzulegen oder ein Studium zu beginnen. Gleiche Leistungen werden ungleich benotet. Im Schulalltag verschränken und verstärken sich unterschiedliche Quellen von Anti-Schwarzem Rassismus gegenseitig: eurozentrische und rassistische Lehrmaterialien, rassistische Äußerungen von Lehrpersonal und von Mitschüler:innen verschärfen und legitimieren sich dabei wechselseitig.
Das moderierte Gespräch mit Joshua Kwesi Aikins bot die Möglichkeit, Anti-Schwarzen Rassismus (ASR) und dessen vielfältige Verschränkungen mit anderen Formen von Diskriminierung besser zu verstehen. Dabei ging es unter anderem um folgende Fragen: Welchen Einfluss haben Alter und geschlechtliche Identität von Schüler:innen auf Zuschreibungen? Wodurch entstehen falsche Annahmen über Eigenständigkeit, Sachlichkeit, Konfliktlösungsfähigkeit und Intelligenz Schwarzer Kinder? Wie können diese erkannt und abgebaut werden, um gleiche Bildungschancen für alle Kinder zu schaffen? Wie kommt es zu Pathologisierung und Täter-Opfer-Umkehr im Kontext von ASR im Bildungssystem? Und was braucht das System Schule, um diese Dynamiken zu durchbrechen?
Im Rahmen seines Impulses sprach Joshua Kwesi Aikins folgende Empfehlungen aus, um die Dynamiken von ASR zu verstehen, zu durchbrechen und abzubauen:
- Etablierung und Unterstützung selbstbestimmter Räume für den Austausch unter Schwarzen Schüler:innen
- Sicherstellung einer professionellen Bearbeitung von Diskriminierungen unter Berücksichtigung der Spezifik von ASR im Bildungssystem und insbesondere in Schulen auf Kommunal- und Landesebene
- Überprüfung und Überarbeitung von Lern- und Lehrmaterial, Curricula und Rahmenplänen
- Nutzung von Bildungsressourcen und Unterrichtseinheiten aus Schwarzer Perspektive zur Schaffung von inklusiven Bildungsangeboten und -erfahrungen
- Einrichtung sanktionsbewährter, unabhängiger Beschwerdestellen für den Bildungsbereich
- Einführung von Landesantidiskriminierungsgesetzen, die explizit auch Diskriminierung in der Schule abdecken und ein Verbandsklagerecht ermöglichen
Das Gespräch wurde aufgezeichnet. Nachfolgend finden Sie den Impuls von Joshua Kwesi Aikins.