Wortwechsel 2: Erfolg, Sinn und Lebenskunst – was macht ein gutes Leben aus?
Foto: Piero Chiussi / Deutsche Kinder- und Jugendstiftung

Ganztagsschulkongress 2013 – Wortwechsel 2: Erfolg, Sinn und Lebenskunst – was macht ein gutes Leben aus?

 

Wortwechsel 2

Erfolg, Sinn und Lebenskunst – was macht ein gutes Leben aus?

Expertinnen und Experten:

Diskussion beim 10. Ganztagsschulkongress

Freitag, 06.12.2013, 14:30–15:30 Uhr, Raum B 05
Prof. Dr. Wilhelm Schmid, Philosoph und Autor; Katja Urbatsch, Gründerin und Geschäftsführerin der Initiative „Arbeiterkind.de“

Moderation: Volker Wieprecht, Radioeins rbb, Berlin

Zentrale Themen und Ergebnisse

Input Prof. Dr. Wilhelm Schmid

Lebenskunst und die Fragen: Wer bin ich? Was will ich? Was ist wichtig? Was interessiert mich als junger Mensch? Was sind für mich zentrale Themen? Eindeutig ist, dass das Glück zur Lebenskunst gehört.

Glück wird zuerst einmal gesehen als Zufallsglück, das man sich nicht aussuchen kann, von dem jedoch vor allem in Beziehungen und im Berufsleben viel abhängt. Dieses Zufallsglück kann man beflügeln, indem man aktiv wird.

Dann das Glück als Wohlfühlglück, das meint Freude und Erfolg. Für dieses Glück kann man viel tun, aber es ist nicht ständig bei uns. Und der Weg zum Erfolg geht nur über Misserfolg. Das bestätigen gerade die, die sehr viel Erfolg erlebt haben. Das Leben ist polar organisiert. Der Schmerz kann nicht ausgeschaltet werden. Junge Menschen müssen auf Schmerz vorbereitet werden, dann kommen sie besser damit klar.
Auch Freude ist nicht dauerhaft. Es ist normal, dass Menschen im Leben unglücklich sind. Die tieferen Einsichten kommen über das Unglücklichsein. Das macht Menschen kreativ, dann versuchen sie beispielsweise aus diesem Zustand herauszukommen.

Wir sollten jungen Menschen nicht vermitteln, dass das Leben glatt läuft. Junge Menschen sind besser gerüstet, wenn ihnen klar wird, dass Sinn im Leben unverzichtbar ist. Dafür muss man sich fragen “Wann frage ich nicht nach Sinn?” und sich selbst beobachten. Absoluten Sinn spenden Beziehungen zu anderen Menschen, zum Beispiel eine gute Freundschaft. Starke Beziehungen geben Halt. Solche Beziehungen bekomme ich durch eine starke Beziehung zu mir selbst. Ich muss mir gefallen und mit mir selbst befreundet sein.

Input Katja Urbatsch

Mir ist bei der Auseinandersetzung mit den Fragen: “Was hat ein gutes Leben mit Bildungserfolg zu tun?” oder “Was ist ein gutes Leben?” schnell aufgefallen, dass Vorstellungen von einem guten Leben sehr verschieden sind. In meiner eigenen Familie ist beispielsweise die Vorstellung verbreitet, dass zu einem guten Leben gehört, dass man eine Berufsausbildung macht, schnell auf eigenen Beinen steht und eine eigene Familie gründet.

Ich habe schnell gemerkt, dass es das nicht ist und hatte das Glück, dass viele in mir etwas erkannt und mich unterstützt haben. Ich wusste oft nicht, was ich kann und was ein gutes Leben ist. Wichtig ist deshalb, dass man die Jugendlichen in ihrem eigenen guten Leben unterstützen muss. Eltern stellen da eine gewisse Garantie da.

Vor fünf Jahren habe ich die Initiative Arbeiterkind gegründet, um Jugendliche dabei zu unterstützen, ihren eigenen Weg zu gehen, auch wenn dies ein anderer ist als der Weg der Eltern. Akademikerkinder haben durch ihr Elternhaus oft ein anderes Wissen, sie kennen beispielsweise Stipendien. Deshalb brauchen Arbeiterkinder andere Ansprechpersonen. Mittlerweile unterstützen 5000 ehrenamtliche Jugendliche die, die überlegen, zu studieren. Wir kommen auch gerne an Schulen, und ich kann Lehrkräfte herzlich einladen, ehemalige Schülerinnen und Schüler, die es geschafft haben, in die Schule einzuladen.

Diskussion

  • Wie sehr bestimmt das, was ich tue, mein Leben von morgen? Gibt es Zufall?
    Schmid: Wir sind nur ein Akteur in unserem Leben, denn enge Familienmitglieder bestimmen beispielsweise auch viel. Und wir sind abhängig vom Zufallsglück, zum Beispiel hat sich niemand seine Eltern bestellt oder seine Lehrer ausgesucht. Auch Lehrkräfte können Schüler ansprechen, aber sich nicht die Schülerinnen und Schüler aussuchen.
    Urbatsch: Eindeutig ist, dass bei Arbeiterkindern viel mehr vom Lehrer abhängt. Mein Freund kommt beispielsweise aus einem Akademikerhaus und hätte – egal mit welchen Lehrern – Abitur gemacht.
  • Wie wird in der Praxis umgesetzt, dass Unglück zum Glück gehört?
    Schmid:
    Heute wird oft vermittelt, dass man erfolgreich sein muss. Das ist kontraproduktiv. Man muss sich fragen: Was steht in meiner Macht? Wir können nicht alles können. Wir sind keine Götter.
  • Es ist schwierig, sich von der Liebe der Familie loszulösen und von der Linie der Familie zu verabschieden. Wie haben sie sich damit auseinandergesetzt?
    Urbatsch:
    Wenn man um die 20 Jahre alt ist und sich nicht verstanden fühlt, ist das schwierig. Außerdem ist man jung und unter Druck und versteht auch oft den Blick der Eltern nicht. Es ist auffällig, dass Jugendliche sich oft über Noten definieren und dass man ihnen vermitteln muss, dass sie mehr sind.
    Schmid: Es geht dann um ein Loslösen aus der umklammernden Liebe der Familie. Junge Menschen müssen einen Sinn sehen können, in dem was sie tun, zum Beispiel auch darin, in die Schule zu gehen. Dabei muss es nicht immer um Erfolg gehen. Es gibt verschiedene Konzepte von einem guten Leben. Wenn man Erfolg haben will, muss man auch Misserfolge hinnehmen. Wenn man nur Erfolg hat, stürzt man ab.
  • Was ist wichtig für Erfolg?
    Urbatsch:
    Mein Erfolgsrezept war, mit Sorgen und Problemen offen umzugehen und mich nicht zu verstecken. Außerdem ist wichtig, dass man Niederlagen nicht so wichtig nimmt, Ausdauer hat und nach dem richtigen Weg sucht.
  • Wäre mehr Philosophie in der Schule wichtig?
    Schmid:
    Es wäre gut, wenn es vom ersten Schuljahr an Philosophie gäbe. Mit Kindern kann man gut philosophieren und es gibt für Kinder eine gute Kinderphilosophie. Beispielsweise denken Kinder oft über den Tod nach. Diesen sollte man thematisieren, damit Kinder lernen, dass der Tod zum Leben dazu gehört. Wie man das macht, kann ganz unterschiedlich sein.
  • Gibt es so etwas wie einen Lebensplan?
    Schmid:
    Man kann sich eine Agenda erstellen und diese in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren wieder anschauen. Dann wird man feststellen, dass man auf Umwegen dorthin gekommen ist.
    Urbatsch: Ich habe schon mehr in meinem Leben erreicht, als ich erwartet hätte. Mein Engagement macht mich glücklich. Das wird hoffentlich so bleiben.

Statements und Zitate

Schmid:

  • “Junge Menschen müssen auf Schmerz vorbereitet werden, dann kommen sie besser damit klar.”
  • “Niemand hat seine Eltern bestellt oder seine Lehrer ausgesucht.”
  • “Wir können nicht alles können. Wir sind keine Götter.”
  • “Es gibt verschiedene Konzepte von einem guten Leben. Wenn man Erfolg haben will, muss man auch Misserfolge hinnehmen.”

Urbatsch:

  • “Ich hatte das Glück, dass viele in mir etwas erkannt und mich unterstützt haben. […] Ich wusste oft nicht, was ich kann und was ein gutes Leben ist.”
  • “Bei Arbeiterkindern hängt viel mehr vom Lehrer ab.”
  • “Man darf Niederlagen nicht so wichtig nehmen.”