Welche Architektur braucht es für hochwertige Bildung und zukunftsfähige Schulen?

Abgebildet ist ein halboffener Raum, an dem mehrere Personen um einen Tisch mit Moderationsmaterial sitzen. Im Bildhintergrund steht eine Person, die gerade etwas vorträgt.
© DKJS / Jörg Farys / www.dieprojektoren.de

Schule und Unterricht befinden sich im Wandel – nicht zuletzt seit dem massiven Ausbau von Ganztagsschulen in den vergangenen zwei Jahrzehnten. Die pädagogischen und organisatorischen Anforderungen sind vielfältig: Schulen sollen inklusiv sein, Schüler:innen mit unterschiedlichen Voraussetzungen Lernerfolge ermöglichen und zu mehr Chancengerechtigkeit beitragen. Ganztägige Bildung und Betreuung soll qualitätsvoll umgesetzt werden – gleichzeitig braucht es mit Blick auf den künftigen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung im Grundschulalter vielerorts einen massiven Ausbau der Kapazitäten. In der Informationsgesellschaft verändern sich die Anforderungen an schulische Bildung und schulisches Lernen rapide; in viel höherem Maße als früher sind Orientierungs-, Recherche- und Problemlösekompetenz gefordert. Zudem gewinnt in Zeiten des Fachkräftemangels die Gestaltung von (Ganztags-)Schule als attraktiver Arbeitsort für das pädagogische Personal stark an Bedeutung.

Ein Thema vereint diese und viele weitere Dimensionen der Schulentwicklung: die Gestaltung von Schulgebäuden und Räumen. Trotz seiner großen Bedeutung für die Gestaltung der Schule von morgen findet Architektur oftmals eher am Rande des Diskurses zu Schulentwicklung und Bildungspolitik statt. Der Schulbau stellt eine der zentralen Herausforderungen für Kommunen in Deutschland dar. Die veränderten Anforderungen verlangen andere bauliche Voraussetzungen als die, die in der Vergangenheit geschaffen wurden und oftmals bis heute üblich sind.

Schulbau Open Source: Planungswissen für Innovationen im Schulbau

Den flächendeckenden Bau hochwertiger und zukunftsfähiger Schulräume zu unterstützen und durch Wissensweitergabe und Best-Practice-Beispiele zu unterstützen, ist das Ziel der Website „Schulbau Open Source“ der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft, die im Dezember 2021 veröffentlicht wurde. Die Seite bündelt Planungswissen zu Innovationen im Schulbau und stellt es frei zugänglich zur Verfügung. Bereits gebaute Pilotprojekte, die die Stiftung gemeinsam mit Kommunen und weiteren Partner:innen realisiert hat, werden in diesem Planungstool ausführlich vorgestellt und vom Planungsprozess in der „Phase Null“ bis zur Fertigstellung dokumentiert. Die Besonderheit dabei ist, dass sämtliche Unterlagen – Pläne, Gutachten, Genehmigungen, Zeichnungen und weitere Dokumente – in vollem Umfang frei und unter einer Open Source-Lizenz zur Verfügung gestellt werden. So werden innovative Lösungswege transparent und nachvollziehbar und können in anderen Planungs- und Bauprojekten adaptiert und weiterentwickelt werden.

„Schulbau Open Source“ enthält das Planungs- und Prozesswissen aus fünf konkreten Schulbauprojekten. Dokumentiert sind alle relevanten Entscheidungen in Form von Text und isometrischen Zeichnungen sowie alle Planungsunterlagen aller Fachplanungen und Leistungsphasen. Auf diese Weise werden Vorgaben des Baurechts, der Unfallkasse und technische Empfehlungen mit den Anforderungen einer zukunftsfähigen Pädagogik zusammengebracht. Den Anfang machte als Pilotprojekt der Ersatzneubau für die Staatliche Gemeinschaftsschule in Weimar, der im Sommer 2024 fertiggestellt und bezogen wird.

Hintergrund: Thesen zum Bau einer zukunftsfähigen Schule

Bereits im Jahr 2012 wurden die 12 Thesen zum Bau einer „zukunftsfähigen“ Schule auf dem Ganztagsschulportal der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung veröffentlicht. Entwickelt wurden sie von Dr. Otto Seydel für die erste Auflage des Sammelbands „Schule planen und bauen“ der Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft. Die Thesen setzen sich umfassend mit den notwendigen Veränderungen in der Bildungsarchitektur und im Schulbau auseinander. Entscheidend ist demnach, die über lange Zeit als selbstverständlich hingenommene feste Verknüpfung von Fläche und Funktion zu überwinden: Anstelle von „Schuhkartonklassenzimmern“, langen Fluren mit schlechter Akustik und Speiseräumen ohne Aufenthaltsqualität sollten vielfältig nutzbare, flexible Räume entstehen, die sich in ihrer Unterschiedlichkeit gegenseitig ergänzen und so insbesondere der Notwendigkeit unterschiedlicher Lern- und Arbeitsformen Rechnung tragen können. Denn jeder junge Mensch lernt verschieden – und verschiedene Formate wie Einzel- oder Kleingruppenarbeit, ruhige und bewegungsvolle Phasen müssen sich abwechseln können, um individualisierendes Lernen zu ermöglichen und soziale Kompetenzen zu fördern. Auf dieser Erkenntnis basiert nicht zuletzt der Gedanke des ganztägigen Lernens überhaupt. Daran anknüpfend schlägt Seydel die Bildung von „Clustern“ aus einer überschaubaren Anzahl von nicht mehr als 120 Schüler:innen vor, die gemeinsam mit ihren Lehrkräften eine soziale und räumliche „teilautonome Untereinheit“ der Schule bilden und ihren Lernprozess und das Sozial- und Arbeitsklima in ihrer Gruppe gemeinsam gestalten können.

Eine qualitätsvolle Umsetzung eines (gebundenen) Ganztagsbetriebs erfordert darüber hinaus Räumlichkeiten, die der Flexibilisierung und Rhythmisierung des schulischen Zeitkonzepts Rechnung tragen. Gleitzeit, Selbstlernphasen, Essen und Trinken, Bewegung und Erholung oder Projektlernen erfordern abwechslungsreiche Aktionsflächen drinnen wie draußen, um Raum für selbstgestaltete Lernprozesse zu geben.

Weitere Thesen beziehen sich beispielsweise auf die Schaffung gesunder und lernförderlicher Rahmenbedingungen in Schulräumen, auf Kompetenzorientierung, die Verwirklichung einer inklusiven Schule durch gemeinsames Lernen und die Überwindung getrennter Schulstandorte für Schüler:innen mit besonderen Bedarfen oder die bewusste und systematische Einbindung digitaler Lernmaterialien und Medien. Nicht zuletzt wird auf die Wichtigkeit einer effektiven Zusammenarbeit des multiprofessionellen pädagogischen Teams hingewiesen: Unterschiedliche Arten und Funktionen der Teamarbeit erfordern andere Lösungen als das klassische und oftmals überlastete Lehrerzimmer. Kulturelles Lernen, die Verwirklichung demokratischer Entscheidungsprinzipien und die Öffnung der Schule in ihre unmittelbare Umgebung hinein sind weitere Herausforderungen für den Schulbau, deren Berücksichtigung für eine qualitätsvolle und zukunftsfähige (Ganztags-)Schule handlungsleitend sein sollte.

Eine aktualisierte und leicht gekürzte Fassung der Thesen zum Bau von zukunftsfähigen Schulen ist auf der Startseite von „Schulbau Open Source“ verlinkt.

Ganztagsschule als attraktiver Lern- und Arbeitsort

Die zeitgemäße Gestaltung von Gebäuden und Räumen für Ganztagsschulen ist in den Programmen der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung schon seit vielen Jahren ein wichtiges Arbeitsfeld. So war Raumgestaltung ein Kernthema des bundesweiten Beratungsforums von „Ganztägig bilden“ im Jahr 2018, das auf der verlinkten Seite und weiteren Unterseiten ausführlich dokumentiert ist. Ein Highlight war der Hauptvortrag der international renommierten Künstlerin Rosan Bosch, die anhand von sechs Schlüsselprinzipien skizzierte, wie in den Projekten der von ihr gegründeten Rosan Bosch Studios Motivation und positive Lernerfahrungen von Schüler:innen in den Mittelpunkt der Gestaltung von Lernumgebungen und Lernsettings gestellt werden. Dabei sind alle Entwicklungsschritte durch partizipative Prozesse eng mit schulorganisatorischen und pädagogischen Fragestellungen verknüpft, um den Bedürfnissen von Lehrenden und Lernenden gleichermaßen Rechnung zu tragen. Auf unserem Portal finden Sie eine ausführliche Dokumentation des Vortrags.

Schlüsselfragen zur Lernraumgestaltung und mögliche Strategien zur Entwicklung einer „sozialen Selbstorganisationsarchitektur“ für die Schule der Zukunft werden im Beitrag von Dr. Wilfried Buddensiek geschildert, den Sie auf dieser Seite finden. Seine Broschüre „Lernräume als gesundheits- und kommunikationsfördernde Lebensräume gestalten“ ist hier verlinkt.

In Berlin wirkten die Regionalstelle der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung sowie die Serviceagentur Ganztag Berlin in der Facharbeitsgruppe Schulraumqualität mit, die zwischen 2016 und 2018 umfassende Empfehlungen für einen qualitätsvollen und zukunftsorientierten Schulbau erarbeitete. Schwerpunkte des Abschlussberichts sind die Ausrichtung am Ganztag, die inklusive Bildung und die Gestaltung von Schulen als Lern- und Lebensort. Bedeutende Neuerungen sind beispielsweise die Abkehr von der traditionellen Flurschule sowie Überlegungen zu flexiblen Raumkonzepten für zeitgemäße pädagogische Konzepte. Auf Grundlage der Empfehlungen der Facharbeitsgruppe entstanden das Konzept des Berliner Lern- und Teamhauses sowie Musterraum- und Musterfunktionsprogramme für unterschiedliche Schularten im Rahmen der Berliner Schulbauoffensive. Das Empfehlungspapier besteht aus zwei Bänden. Hier können Sie den ersten Band sowie den zweiten Band direkt herunterladen.

Weitere Lesetipps zur Lernraumgestaltung finden Sie am Ende des Artikels in der Liste der weiterführenden Links. Viel Spaß beim Stöbern!

Die Montag Stiftung Jugend und Gesellschaft ist neben dem Portal „Schulbau Open Source“ in mehreren weiteren Projekten auf dem Feld der pädagogischen Architektur aktiv. Einen Überblick finden Sie auf dieser Seite.

Zahlreiche Publikationen zur Frage „Wie plant und baut man eine gute Schule?“ sind hier veröffentlicht. Besonders hervorzuheben ist das Standardwerk „Schulen planen und bauen 2.0 – Grundlagen, Prozesse, Projekte“, das im Buchhandel erhältlich ist und online als Leseprobe eingesehen werden kann. Zudem informiert der Blog „Schulen planen und bauen“ über aktuelle Projekte, Standpunkte, Trends und Beispiele, Veröffentlichungen, Veranstaltungen und vieles mehr.