Dr. Hans Haenisch
Das Thema "Verzahnung von Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten" ist regelmäßiger Gesprächsstoff in der Diskussion um die Ganztagsschule (z. B. Pörnbacher 2008). Dies hat mit der Erwartungshaltung zu tun, dass die erweiterten Angebote des Ganztags in einem übergreifenden Ansatz der Schule als Ganzes eingebunden sein sollten.
So ist z.B. für Bönsch (2006) die Frage, inwieweit in diesen Schulen ein Gesamtkonzept vorhanden ist, „das Unterricht, Arbeits- und Übungsstunden, Hausaufgabenbetreuung, Mittagessen und den musisch- kulturellen-sportlichen Bereich in ein sinnvolles, nicht zufälliges Miteinander bringt“, eine der fünf Prüfkriterien für eine gute Ganztagsschule. Wenn dieses Kriterium dann noch unter der Überschrift ‚die curriculare Komponente’ erörtert wird, zeigt dies zudem den besonderen Anspruch, der mit dieser immanenten Forderung nach Verzahnung verbunden ist. Auffallend in der Diskussion ist, dass die außerunterrichtlichen Angebote der offenen Ganztagsschule dabei immer wieder in den Fokus geraten.
Hier wird meist angenommen, dass kaum eine Verzahnung mit dem Unterricht möglich ist (z. B. Burow/Pauli 2006, Schnetzer 2006). Begründet wird dies häufig mit dem additiven Charakter ihrer Organisation und der Freiwilligkeit der Teilnahme der Schülerinnen und Schüler, die – so wird angenommen – eine ernsthafte curriculare Verknüpfung selten zustande kommen lässt. Auf der anderen Seite gibt es aber auch keine klaren Belege dafür, dass in einem gebundenen Ganztag die Verzahnungsaktivitäten tatsächlich stärker ausgeprägt sind. Die Befunde aus den beiden Studien von Holtappels (2005a, 2007) geben zwar Hinweise auf signifikante Unterschiede zu Gunsten der gebundenen Formen, die Unterschiede sind praktisch allerdings recht gering. Die Ergebnisse zeigen außerdem, dass das Niveau der Verzahnung auch in gebundenen Ganztagsschulen eher auf einem relativ niedrigen Niveau liegt, vor allem wenn tatsächlich eine Betrachtung unter inhaltlich-curricularen Aspekten vorgenommen wird (vgl. Holtappels 2007, S.150).
Daraus könnte die Folgerung abgeleitet werden, dass außerunterrichtlichen Angebote, außer der Bedingung möglichst gut verzahnt zu sein, noch andere Aufgaben haben, die vielleicht auch eine gewisse Eigenständigkeit des Angebots erforderlich machen. So konnte in der nordrhein-westfälischen Studie zum offenen Ganztag im Primarbereich offengelegt werden, dass im Angebot des offenen Ganztags ein spezifisches Profil zum Ausdruck kommt, das in der traditionellen Struktur des Vormittags so bisher noch nicht abgedeckt wurde. Dadurch kann dem offenen Ganztag in der primären Bedeutungszuschreibung eine stark komplementäre Angebotsfunktion zugewiesen werden. Mit diesem neuen Angebot füllt der offene Ganztag in gewisser Hinsicht eine Bedarfslücke, die einen größeren Umfang an ganzheitlichen Förderansprüchen gewährleisten kann (vgl. Beher u. a. 2007, S. 47ff ).
Verzahnung gewinnt neue Dimension
Der Verzahnungsaspekt gewinnt dadurch eine neue Dimension, d.h. auch ohne direkte curriculare Verknüpfungen scheint eine Verzahnung auf einer höheren Ebene gegeben, die sich vor allem durch den Mehrwert der Verbreiterung von Vielfalt und Ganzheitlichkeit darstellt. Dabei scheint es dann möglicherweise sekundär, ob es sich um offene oder gebundene Formen handelt, denn wie die Untersuchung von Beher u.a. (2007) zum offenen Ganztag in NRW darlegt, kommen noch eine ganze Reihe weiterer Faktoren ins Spiel, die für die Verzahnung von Bedeutung zu sein scheinen. So hatten verzahnungsintensive Schulen bei der Gründung ihres offenen Ganztags bereits deutliche konzeptionelle Strukturen im Hinblick auf Profilbildung und Schwerpunktsetzung. Solche Schulen zeichnen sich auch durch ein höheres Ausmaß an Öffnungsaktivitäten aus (z. B. Besuch außer- schulischer Lernorte) und boten auf diese Weise gute Anschlussstellen für Verzahnung.
Insbesondere sind es jedoch die Kooperationsaktivitäten, die Schulen in ihrer Verzahnungsintensität unterscheiden. Auffallend ist dabei, dass bei verzahnungsintensiven Schulen vor allem die anspruchsvolleren Formen von Kooperation zwischen Lehrkräften und außerunterrichtlichem Personal überwiegen (z. B. Absprachen zu Unterrichtsthemen, Hospitationen, gemeinsamer Besuch von Fortbildungsveranstaltungen). Außerdem gibt es an diesen Schulen eine deutlich stärker ausgeprägte Moderatorfunktion der Schulleitung bezogen auf die Kooperation zwischen Lehrkräften und außerunterrichtlichem Personal. Auffallend ist auch der höhere Grad an professioneller Orientierung in verzahnungsintensiven Schulen. Die pädagogischen Kräfte an diesen Schulen verfolgen häufiger ein bestimmtes pädagogisches Konzept und planen ihre Aktivitäten meistens für mehrere Wochen im Voraus. Insgesamt muss nach den hier referierten Ergebnissen die Frage, was denn überhaupt als sinnvolles Maß der Verzahnung anzusehen ist, neu und systematischer erörtert werden.
Je mehr Verzahnung desto besser
Jedenfalls scheint die einfache Formel, je mehr Verzahnung desto besser, so einfach nicht gelten zu können, denn es muss auch der Aspekt der Eigenständigkeit in Rechnung gestellt werden. Weiterhin scheint es geboten, den Verzahnungsbegriff deutlich zu erweitern und ihn nicht nur auf eine Engführung im Hinblick auf inhaltlich-curriculare Aspekte zu beschränken. Die Diskussion macht außerdem deutlich, dass zwar viel über Verzahnung gesprochen wird, dass in der Literatur aber kaum etwas Konkretes zu finden ist, das aufzeigt, was mit Verzahnung überhaupt gemeint ist. Insgesamt fehlen Bezugspunkte, die helfen könnten, eine praxis- orientierte Typologie der Verzahnung aufzubauen und damit den in der Praxis Tätigen konkrete Beispiele und Anknüpfungspunkte zu liefern.
Dr. Hans Haenisch, Lehrbeauftragter an der Bergischen Universität Wuppertal
in: "Verzahnung zwischen Unterricht und außerunterrichtlichen Angeboten im offenen Ganztag Eine qualitative Studie zu praktischen Ansätzen der Verzahnung in ausgewa¨hlten Schulen"
Herausgegeben vom Institut für soziale Arbeit e.V. Münster/ Serviceagentur "Ganztägig lernen in Nordrhein-Westfalen"
Datum: 21.06.2011
© www.ganztaegig-lernen.de