Differenzierung im Unterricht

 

 

Die Verständnis- und Speichermöglichkeiten differieren, so dass Abkoppelungen schon am Anfang des Unterrichts oder eben etwas später die Regel sein werden. Im Allgemeinen werden schlechte Lernergebnisse auf das Konto der Schüler gebucht. Selten wird gefragt, ob der Unterricht vielleicht Lerndefizite verursacht hat.

Die Grundfrage ist, ob das Lernen - anders als im Geleitzugprinzip - variabler und einfallsreicher für den einzelnen Lerner gestaltet werden kann. Differenzierung im Unterricht heißt der Ansatz, um an Verbesserungen heranzukommen. Differenzierungsstrategien An sich liegt das Thema „Differenzierung“ gut ausgearbeitet vor (z. B. Bönsch, 2004, 2. Aufl.; 2008, 3. Aufl.). Die folgenden Ausführungen extrahieren aus dem Gesamtrepertoir drei Differenzierungsstrategien, die für eine Schule Erwägungen anbieten, eine gute Differenzierungsstruktur zu entwickeln. Die Ansätze greifen unterschiedlich weit. Die Differenzierungskriterien sind an sich auch bekannt.

Der Weg zu einer elaborierten Differenzierungspraxis kann grundsätzlich über die zwei Modi der inneren und äußeren Differenzierung angegangen werden. Wenn man das Thema aus der Dialektik von Integration und Differenzierung angeht - das heißt gemeinsames Lernen mit optimalem individuellem Lernen bei relativ großer Heterogenität in Einklang zu halten -, wird man die Möglichkeiten der äußeren Differenzierung eher kritisch betrachten, weil der am meisten praktizierte Ansatz der Fachleistungsdifferenzierung (setting) z. B. schnell zu Verfestigungen (Niveauzuordnungen) führen kann, die ähnlich der Zuordnung zu den Schularten wenig Mobilität zulassen (Abstiegsmobilität zwar immer, aber wenig Aufstiegsmobilität). Zunächst sei ein Basiskonzept entwickelt, das der inneren Differenzierung zuzuordnen ist, von einem einzelnen Lehrer/einer einzelnen Lehrerin realisiert werden kann.

Unterrichtsprozessgebundene innere Differenzierung

Unterrichtsprozessgebundene innere Differenzierung heißt, zunächst von der herkömmlichen Planung und Gestaltung des Unterrichtsprozesses auszugehen, um dann zu prüfen, wo Differenzierungen angebracht sein könnten. Da wird es am ehesten im Bereich der sog. nachgehenden Differenzierung schnell Notwendigkeiten geben. Die Erarbeitung einer neuen Unterrichtseinheit/Lektion ist erfolgt. Fast immer wird es so sein, dass nicht alle Schüler/-innen der Klasse die gesetzten Lernziele erreicht haben. Nachgehende Differenzierung heißt dann, Lernangebote zu machen, die es den Schülern/-innen ermöglichen, zu einer Vervollständigung ihrer Lernprozesse zu kommen.

Unter dem Stichwort Bearbeitungsdifferenzierung ist die Möglichkeit zu verstehen, in den gesellschaftwissenschaftlichen Fächern z. B. die Bearbeitung von unterrichtlichen Themen auf unterschiedliche, eben differenzierende Weise anzubieten. Das bekannte Konzept des wahldifferenzierten Unterrichts kann dafür im Dreischritt „Grundinformation und Ausdifferenzierung von Teilthemen – arbeitsteilige Bearbeitung von Teilthemen auf unterschiedlichen Wegen – Darstellung der Arbeitsergebnisse im Klassenplenum“ besonders dienen. Ein noch wenig beachteter und praktizierter Ansatz liegt in der Frage, ob Differenzierung schon als Instruktionsdifferenzierung Lernprozesse befördern und damit erfolgreicher machen könnte. Wenn man weiß, dass das sog. concept mapping, also die Favorisierung von dem eigenen Lerntyp entsprechenden Zugängen, das Lernen häufig bestimmt – der eine Lerner kann Mathematik abstrakt-kognitiv lernen, der andere braucht Zugänge zur Mathematik über Sachaufgaben und Alltagsphänomene – erhebt sich die Frage, ob man den Unterricht in einem Jahrgang nicht mit Hilfe von zwei bis drei Instruktionsvarianten beginnen könnte, um möglichst optimale Einstiegswege anzubieten. Hier liegt ein Entwicklungsfeld.

Eine Übersicht fasst noch einmal zusammen.



Äußere Differenzierung

Wenn die Heterogenität einer Schülerpopulation wie z. B. in einer integrierten Haupt- und Realschule als zu groß erscheint, ist es ein bekanntes Organisationsmuster, mit Hilfe konstanter oder temporärer Umgruppierungen relativ homogene Lerngruppen zu schaffen. Das am meisten praktizierte Differenzierungsmodell ist die Fachleistungsdifferenzierung, das sog. setting. Nach gemeinsamem Anfang werden relativ schnell – mitunter auch von Anfang an – zwei, drei oder vier Levels geschaffen (ABCD oder FEGA oder A,B und C), auf denen nach qualitativ und quantitativ differenzierten Ansprüchen die Lernarbeit unterschiedlich gestaltet wird. Die Probleme sind bekannt: unter der Hand kann schnell eine Fixierung auf Hauptschul-, Realschulund Gymnasialniveau entstehen, die selfullfilling-prophecy kann wirksam werden (ich bin eben nur ein Hauptschüler!), die Mobilität zwischen den Levels ist gering, am ehesten noch als Abstiegsmobilität verwirklicht. Das Systemelement von Lift- und Stützkursen ist kaum wirklich installiert worden.

Deshalb sind immer wieder andere Modelle erörtert und erprobt worden. An Gesamtschulen, die Schwierigkeiten mit der Fachleistungsdifferenzierung sehen, ist die sog. gleitende Differenzierung realisiert worden. Sie folgt dem Gedanken, dass der Klassenverband die Grundformation ist. In einer ersten Variante werden z. B. bei 5 Wochenstunden in einem sog. Langfach (Englisch, Mathematik, Deutsch) 3 Stunden gemeinsam im Klassenverband unterrichtet. Die zwei weiteren Stunden bieten einerseits für lernstärkere Schüler ein Additum, während die lernschwächeren im langsamer bearbeiteten Fundamentum bleiben oder gar Hilfen bekommen, um in der Muttersprache besser den Grundanforderungen entsprechen zu können. Progressiver ist die zweite Variante, aus 2 Stammgruppen (Klassen) drei neue Lerngruppen zu bilden. Zwei zahlenmäßig größere Gruppen gehören zum A-Kurs, während die dritte Lerngruppe zahlenmäßig kleiner gehalten wird, um mit ihr intensiver auftretende Lerndefizite bearbeiten zu können. Zu den Grundgedanken aber gehört wesentlich, dass das Gleiten, also das unkomplizierte Hin- und Herwechseln aufgrund sich verändernder Leistungsdispositionen jederzeit möglich ist.

Das Modell der flexiblen Differenzierung ist früh in der Entwicklung der Gesamtschulen erprobt worden. Es ist auf eine Unterrichtseinheit ausgelegt, stellt nach der Vermittlung des Fundamentum per diagnostischem Test fest, wer welche Ziele erreicht hat und wer welche noch nicht. Dann wird differenziert nach Gesamtwiederholerkurs (die Ausfälle sind in der Breite groß), nach Wiederholer-/Nachkurs (Aufarbeitung partieller Lerndefizite) und nach Zusatzkurs (Additum für die lernstarken Schüler, die die Lernziele des Fundamentum erreicht haben). Durch Lernerfolgstests unterschiedlicher Art (Nachtest oder AdditumTest) wird der Lernstand für die Unterrichtseinheit festgestellt, ehe es mit der nächsten Unterrichtseinheit in eben der Weise weitergeht.

Die Grundannahme des Modells ist, dass man mit solch einer Unterrichtskonzeption (fast) alle Schüler zu den gesetzten Lernzielen des Fundamentum führen kann. Das ist eine sehr optimistische Annahme, die eben auf die Effekte differenzierter Lernarbeit hofft.

Eine Übersicht bündelt wieder die verschiedenen Modelle:

Äußere Differenzierung

Freigebende innere Differenzierung

Wenn die Schule aus ihrer relativ statischen Organisation ausbrechen könnte, wäre an Differenzierungskonzepte zu denken, die einen ganz neuen Schub für eine effektive Lernorganisation bringen könnten. Freigebende innere Differenzierung heißt, das Lernen nicht mehr zu portionieren und Schüler/-innen in den festen Bindungen des jahrgangsweisen Vorgehens zu halten. Sie bedeutet vielmehr, jeden Lerner nach seinen Möglichkeiten „laufen“ zu lassen. Die Arbeit an Modulen oder Lernprogrammen entlang ist so zu denken, dass der zu bewältigende Lernstoff im Nach-/Nebeneinander von Modulen organisiert ist. Der den Schülern bekanntgemachte Lernplan zeigt diese auf. Die Schüler/-innen können diese Module nach Maßgabe von nötiger Lernzeit und individuell kalkuliertem Arbeitsumfang bearbeiten. Leistungskontrollen stehen jederzeit zur Verfügung. Lehrer/- innen stehen zu Beratung und Erklärung/Vermittlung zur Verfügung. Bei der Programmierung des Lernstoffes in Gestalt von gedruckten Programmen oder von Computerlernprogrammen wird das selbständige Lernen noch effektiver gefördert. Der Lerner wird durch Lernsequenzen geführt, er bekommt sofort Rückmeldung, bei Fehlern bekommt er Wiederholungen, Vereinfachungen, Schleifen angeboten, um über Klippen hinwegzukommen.

Richtig gelöste Aufgaben werden bilanziert. Aufmunternde Motivationshilfen sprechen ihn sehr persönlich an. Die von mir vor vielen Jahren schon entwickelte Fachlehrerkette mutet demgegenüber fast konventionell an. Ihr Grundgedanke ist, statt des jahrgangsweisen Vorgehens die Inhalte in einer Kette von Lernabschnitten (halbjährlich oder vierteljährig) anzubieten. Für jedes Glied der Kette steht ein Lehrer bereit. Die Schüler/-innen können je nach Lernkapaziät, Lerntempo und Lernanspruchsniveaus an der Kette entlang lernen. Wenn sie sich in einem Abschnitt fit fühlen, stehen ihnen auch hier Lernerfolgskontrollen zur Verfügung, mit deren Hilfe sie prüfen können, ob sie das beherrschen, was in dem jeweiligen Abschnitt von ihnen verlangt wurde. Sie können aber auch in einem Abschnitt verweilen, wenn noch Defizite bestehen. Sie können z. B. in vier Jahren den Stoff der Schuljahre 7-10 in einem Fach erarbeiten, aber auch in drei Jahren und bekommen dann Lernzeit frei für andere, für sie vielleicht schwierigere Lernbereiche.

Der neueste Ansatz ist der des kompetenzorientierten Unterrichts, Der Grundgedanke hier ist, Schülern/-innen mit den sog. Kompetenzrastern zu Beginn eines Unterrichtsabschnitts (Monat, Vierteljahr, Halbjahr) aufzuzeigen, welche Kompetenzen auf welchen aufsteigenden Niveaustufen sie sich aneignen sollen. Der Weg zu diesen Kompetenzen wird mit personellen und sächlichen Hilfen gestützt. Wichtig ist, dass die Lernwege selbst geplant und realisiert werden und Selbstreferentialität (Das kann ich, das noch nicht!) den Lernprozess steuert. Eine optimistische Pädagogik liegt zugrunde: der Schüler will lernen und die wichtigen Ich-kann-Erlebnisse tragen ihn vorwärts. Lernerfolgskontrollen stehen auch hier jederzeit bereit, um das faktische Können überprüfen zu können und keine Illusionen entstehen zu lassen. Der Zeitrahmen ist beweglich organisiert.

Kurze Bilanz

Erfolgreiches Lernen heißt in der Schule normalerweise, gesetzten Lernansprüchen genügen zu können. Da Menschen, und eben auch Kinder und Jugendliche, unterschiedlich lernen, wird erfolgreiches Lernen am ehesten dann Realität werden, wenn der von außen gesetzte Anspruch in eine positive Passung zu den individuellen Lernkapazitäten, Lerntempi und Lernpräferenzen gebracht wird. Aber ehe die Lernressourcen eines Schülers/einer Schülerin als ausgeschöpft definiert werden (das ist ein ziemlich hoffnungsloser Fall!), ist zu prüfen, ob tatsächlich alle Möglichkeiten, Lernwege differenziert zu gestalten, ausgeschöpft worden sind.

 

Literatur
M. Bönsch: Differenzierung in Schule und Unterricht, München, 2004, 2. Aufl.
M. Bönsch: Intelligente Unterrichtsstrukturen, Baltmannsweiler, 2008, 3. Aufl.

 

Autor: Manfred Bönsch

Datum: 15.04.2011
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