Ganztagsschulentwicklung in Hessen

Der Ausbau der Ganztagsschule steht in Hessen seit vielen Jahren im Fokus der Bildungspolitik. Mittlerweile verfügen über 1.000 Schulen über ein Ganztagsangebot. Das entspricht ungefähr 60% aller allgemeinbildenden Schulen der Grundstufe und der Sekundarstufe I inklusive der Förderschulen. Dass es sich dabei nicht nur um ein flächendeckendes Angebot handelt, sondern auch auf die Qualitätsentwicklung geachtet wird, zeigt der „Qualitätsrahmen für ganztägig arbeitende Schulen“, der 2011 erlassen wurde und als Grundlage für ganztägige Angebote dient.

Freiwilligkeit in Bezug auf Ganztagsschule spielt eine zentrale Rolle. Das erkennt man daran, dass sowohl für die Schulen als auch für die Schülerinnen und Schüler eine Teilnahme freiwillig ist. Die einzelne Schule entscheidet selbst unter Berücksichtigung des Bedarfes in der Region, ob sie zur Ganztagsschule bzw. zu einer Schule mit Ganztagsangebot werden will. Wer diesen Weg geht, muss zunächst ein pädagogisches Konzept entsprechend der Richtlinie für ganztägig arbeitende Schulen erstellen. Im Entstehungs- und Abstimmungsprozess wird die Schule vom Schulträger und vom Staatlichen Schulamt unterstützt.

Hessische Schulen können zwischen unterschiedlichen Ganztags-Profilen mit unterschiedlichen Gestaltungsräumen wählen:
Profil 1: Die Schulen bieten ein freiwilliges Ganztagsangebot an mindestens drei Tagen pro Woche
Profil 2: Die Schulen bieten ein freiwilliges Ganztagsangebot an mindestens fünf Tagen pro Woche
Profil 3: Diese Ganztagsschulen bieten ein verpflichtendes Unterrichts- und Betreuungsangebot an fünf Tagen pro Woche für alle Schülerinnen und Schüler oder für einen definierten Teil ihrer Schülerschaft (z. B. bestimmte Klassen oder Jahrgangsstufen oder Schulzweige).


„Pakt für den Nachmittag“

Mit dem „Pakt für den Nachmittag“ ist seit dem Schuljahr 2015/2016 ein gemeinsames Pilotprojekt von Land und Schulträgern für Grundschulen und Grundstufen von Förderschulen dazu gekommen. Es wird damit der bedarfsorientierte Ausbau von Bildungs- und Betreuungsangeboten an fünf Tagen pro Woche von 7:30 Uhr bis 17 Uhr und in den Schulferien gefördert. Im ersten Schuljahr starteten sechs Schulträger gemeinsam mit 57 Grundschulen. Sukzessive erweitert sich der Kreis der hieran beteiligten Schulen. Ziel ist es, innerhalb von fünf Jahren alle Schulen, die es wünschen, in den „Pakt für den Nachmittag“ aufzunehmen.
Antworten auf häufige Fragen zum den drei Profilen und dem „Pakt für den Nachmittag“  finden sich auf der Internetseite der Serviceagentur „Ganztägig lernen“.
 

3 Fragen an Wolf Schwarz

 
Wolf Schwarz ist Leiter des Referats "Innovation und Qualitätsentwicklung, individuelle Förderung, Ganztagsangebote, Unterricht in der Herkunftssprache" sowie stellvertretende Leitung der Abteilung I des Hessischen Kultusministeriums.
 
Ganztägig-lernen.de: Welche Themen der Ganztagsschulentwicklung stehen in Hessen derzeit im Zentrum?
 
Wolf Schwarz: Eindeutig im Vordergrund steht zurzeit das Programm „Pakt für den Nachmittag“, das an allen Grundschulen des Landes, an denen dies gewünscht wird, ein verlässliches Bildungs- und Betreuungsangebot bis 17 Uhr gewährleisten wird. Dazu gehen wir in Hessen einen ganz neuen Weg, indem wir das Programm in Partnerschaft mit den Schulträgern – das sind die Landkreise und kreisfreien Städte – realisieren: Jede Seite gibt auf der Grundlage fester Verträge Ressourcen dazu, daher der Name „Pakt für den Nachmittag“. Und es ist ein echter Pakt, denn von Beginn an waren die sechs „Pilotschulträger“ in einer Steuergruppe mit Kultusministerium, Sozialministerium, Landesrechnungshof, kommunalen Spitzenverbänden und weiteren Stakeholders an einem – zugegeben ziemlich großen! – Tisch versammelt und haben gemeinsam mit dem Land die Rahmenvereinbarung entworfen, die hessenweit Grundlage des Pakts ist – und da ging es nicht nur darum: Wer zahlt was und ist wofür verantwortlich?, sondern sehr ausgiebig und ernsthaft auch um die Frage: Wie sollen unsere Ganztagsschulen gestaltet sein, um den Anforderungen der Zukunft pädagogisch zu genügen, und wie stemmen wir das gemeinsam?
 
Da Hessen als Flächenland aber regional durchaus unterschiedlich aufgestellt ist, gibt es mit jedem Schulträger im Pakt eine Zusatzvereinbarung, in der die regionalen Besonderheiten geregelt sind. Das war alles nicht ganz einfach, aber wir sind im vergangenen Schuljahr mit sechs Pilotregionen gestartet – darunter die großen Städte Kassel, Frankfurt und Darmstadt – und in diesem Schuljahr 2016/17 sind zehn weitere Schulträger dazugekommen; dabei auch die Städte Gießen, Offenbach und Wiesbaden. Bis zum Ende der Legislatur (Schuljahr 2018/19) wollen wir alle hessischen Schulträger einbezogen haben.
Gleichwohl ist der „Pakt“ nur ein Bereich im hessischen Landesprogramm Ganztagsschule, der eben besonders auf die Grundschulen fokussiert ist. Weiterhin bauen wir nach besten Kräften den Sekundarbereich aus. Dazu hat der Hessische Landtag ein Zusatzprogramm im Umfang von 6 Millionen Euro beschlossen, das insbesondere dem Ganztagsausbau an den weiterführenden Schulen dient. Auf diesem Weg sind nun 64% aller Schulen im Ganztagsprogramm des Landes versammelt.
 
Bei beiden Ganztagsprogrammen legen wir besonderen Wert auf den qualitativen Ausbau, dafür nutzen alle Schulen den verbindlichen Qualitätsrahmen Ganztagsschule.
 
Ganztägig-lernen.de: Was macht aus Ihrer Sicht das Besondere der Serviceagentur für die Ganztagsschulentwicklung in Ihrem Land aus?
 
Wolf Schwarz: Hessen hat ja gleich zu Beginn des damaligen Bundesprogramms „Ideen für mehr – ganztägig lernen!“ mit dem Aufbau der Serviceagentur begonnen, sie besteht jetzt schon seit zwölf Jahren. Für uns war damals wie heute der multiprofessionelle Ansatz ausschlaggebend, den wir ja genauso in unseren Ganztagsschulen fördern – und natürlich die Flexibilität und die Nähe der SAG zu den Schulen, die „den Ganztag“ im Land praktisch umsetzen, und zu deren Kooperationspartnern. Beinahe unersetzlich ist die Serviceagentur neben den vielen Veranstaltungen in ihrem jährlichen „Regelprogramm“ – in unseren Großvorhaben der letzten Jahre gewesen, insbesondere: die Einführung des Qualitätsrahmens für ganztägig arbeitende Schulen, die große landesweite Evaluation im Anschluss daran und jetzt ganz besonders der „Pakt für den Nachmittag“ mit seinen regionalen Verknüpfungen und Netzwerkstrukturen, die ja auch begleitet werden wollen.
 
Darüber hinaus schätzen wir den bundesweiten Arbeitszusammenhang der Serviceagenturen, den wir als Land immer gefördert haben und auch mit ins neue Programm „Ganztägig bilden“ übernommen haben, das die Länder jetzt ohne den Bund weiterführen. Für uns ist es wichtig, dass hessische Erfahrungen aus den Ganztagsschulen bundesweit rezipiert und diskutiert werden, und genauso interessiert uns die Entwicklung in den anderen Bundesländern.
 
Ganztägig-lernen.de: Welche Erfahrungen hat das Land aus der Anwendung des Qualitätsrahmens für ganztägig arbeitende Schulen gezogen und in die Umsetzung des Pakts für den Nachmittag einfließen lassen?
 
Wolf Schwarz: Der Qualitätsrahmen ist das Rückgrat der hessischen Ganztagsschulentwicklung schlechthin und er gilt gleichermaßen für alle Programmbereiche. Mit anderen Worten: Eine Grundschule im „Pakt“ muss grundsätzlich denselben Qualitätsansprüchen genügen wie eine Integrierte Gesamtschule oder ein Gymnasium im Ganztagsprogramm – Eltern, Schüler und Lehrer müssen sich darauf verlassen können. Damit bildet der Qualitätsrahmen die zuverlässige Klammer, die wir bei aller Achtung vor regionaler und schulformspezifischer Vielfalt brauchen, um Qualität, Transparenz und Vergleichbarkeit zu garantieren. Und ganz praktisch ist der Rahmen die Referenz für Schulen, die den Einstieg in oder die Weiterentwicklung ihres Ganztagsangebots planen: Die wesentlichen Kriterien liegen überprüfbar offen und erleichtern so die Orientierung, ohne dass ein Korsett daraus würde, das den Schulen und ihren Partnern die Luft abschnürt. Die Fachberatung, die Serviceagentur, die Schulaufsicht arbeiten alle entlang der gleichen Richtschnur, nur eben mit verschiedenen Gewichtungen und Aufgaben.