Ganztagsschulentwicklung im Land Berlin

Ganztagsschulentwicklung im Land Berlin
© Brigitte Kreuzwirth / pixelio.de

Die Ganztagsschule ist im Land Berlin die Regelschulform. 90% der allgemeinbildenden Schulen sind mittlerweile ganztägig organisiert. Alle Grundschulen, welche in  Berlin die Jahrgänge 1 bis 6 umfassen, sowie die Integrierten Sekundarschulen (inkl. Gemeinschaftsschulen) sind Ganztagsschulen. Aber auch gut ein Viertel der Berliner Gymnasien haben den Ganztag eingeführt. Die meisten Schulen kooperieren zur Umsetzung des Angebots - vertraglich abgesichert -mit Freien Trägern der Jugendhilfe. Weitere Kooperationen gibt es mit Vereinen, Musikschulen, Bibliotheken und anderen Anbietern.

Seit 2005 sind alle Grundschulen Ganztagsgrundschulen, die meisten in offener, mit steigender Tendenz jedoch auch in gebundener Form. Orientierungspunkte für die Umsetzung liefert seit 2005 das „Leitbild der offenen Ganztagsgrundschule

Ergänzend hierzu bietet das „Berliner Bildungsprogramm für die offene Ganztagsgrundschule“ (2009) Impulse für Gestaltungsprinzipien, Aufgabenfelder und Entwicklungsziele zur Qualitätsentwicklung.


Das Berliner Schulsystem ist zweigliedrig organisiert: neben den Gymnasien gibt es die Integrierten Sekundarschulen (ISS), die ebenfalls zum Abitur führen können. Dies allerding in 13 Schuljahren statt in 12 wie am Gymnasium. In welcher Form die Integrierten Sekundarschulen den für sie verpflichtenden Ganztag umsetzen, ist den einzelnen Schulen überlassen. Die Mehrheit hat sich für den gebundenen oder teilgebundenen Ganztag entschieden.

Eine Besonderheit der ISS ist die Gemeinschaftsschule, die meist im gebundenen Ganztag organisiert ist. Hier lernen Kinder und Jugendliche von der 1. bis zur 10. Klasse ohne äußere Differenzierung. Die Schulen, die an der Pilotphase zur Erprobung der Gemeinschaftsschule teilgenommen haben, sind im Netzwerk Gemeinschaftsschule eigenständig organisiert. Neben dem Erfahrungsaustausch werden auch spezifische Fortbildungen in Zusammenarbeit mit der Senatsverwaltung angeboten. Die wissenschaftliche Begleitstudie zur Pilotphase Gemeinschaftsschule konnte in einigen Kompetenzbereichen (u.a. Leseverständnis, Mathematik) einen substanziell höheren Lernzuwachs nachweisen.

Für alle drei Oberschulformen (Gymnasium, ISS, Gemeinschaftsschule) ist der Handlungsrahmen für Ganztagsoberschulen „Berliner Eckpunkte für die Ganztagsschulentwicklung in der Sekundarstufe I“ von Bedeutung.

Neben der Ganztagsschulförderung, besonders den Ausbau der gebundenen Ganztagsschule, konzentriert sich das Land Berlin bildungspolitisch gegenwärtig auf die Themen Inklusion und Sprachbildung. Der Inklusionsanteil an den Regelschulen beträgt derzeit 58,8%. Damit liegt Berlin im Ländervergleich auf den vorderen Plätzen. Der Fachbeirat „Inklusive Schule in Berlin“ begleitet und entwickelt Initiativen in diesem Feld. Auf dem Thema inklusive Schule liegt derzeit auch der Fortbildungsschwerpunkt, was sich im Curriculum zur inklusiven Schule und dem damit verbundenen Qualifizierungsprogramm wiederspiegelt. Ebenso liegt seit 2015 ein inklusiver Rahmenlehrplan (RLP)
für alle Schülerinnen und Schüler der Klasse 1 bis 10 vor, der 2017 in Kraft treten wird. Die Einführung dieses Rahmenlehrplans wird von einem Online-Portal flankiert.

Mit dem „Rahmenkonzept für Schwerpunktschulen“ hat die Facharbeitsgruppe „Schwerpunktschulen“ ein Konzept zu Schwerpunktschulen im inklusiven System vorgelegt. Insgesamt soll es zukünftig 36 Schwerpunktschulen für die Förderbedarfe „körperliche und motorische Entwicklung“, „Hören“, „Sehen“, „Geistige Entwicklung“ und „Autismus“ geben, die ein eigenes Netzwerke bilden und passgenaue Fortbildungen erhalten werden. Seit 2015 wurde in allen Berliner Bezirken Schulpsychologische und inklusionspädagogische Beratungs- und Unterstützungszentren (SiBUZ) eingerichtet.
Sprachförderung  – insbesondere für geflüchtete Kinder und Jugendliche – ist ein weiterer Schwerpunkt.

Neben der Einrichtung von Willkommensklassen für Kinder ohne Deutschkenntnisse gibt es beispielsweise auch „Ferienschulen für neu zugewanderte Kinder und Jugendliche“ der Deutschen Kinder –und Jugendstiftung in Kooperation mit dem SenBilJugWiss.

 

3 Fragen an Ines Rackow

Ines Rackow ist stellvertretende Referatsleiterin und Gruppenleiterin Grundsatzfragen ganztägiger Bildung, gute gesunde Schule, kulturelle Bildung und Bildungs- und Teilhabepaket in der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Wissenschaften in Berlin.

Ganztaegig-lernen.de: Welche Themen der Ganztagsschulentwicklung stehen in Berlin derzeit im Zentrum?

Ines Rackow: Schwerpunkt in der Qualitätsentwicklung ist weiterhin die multiprofessionelle Zusammenarbeit mit dem gemeinsamen Ziel der individualisierten Förderung. Dieses Ziel gewinnt noch einmal an Bedeutung durch die inklusive Schulentwicklung.

Die inklusive Ganztagsschule stellt sich der Herausforderung Kinder und Jugendliche in ihrer Unterschiedlichkeit wahrzunehmen und anzuerkennen. Sie eröffnet die Möglichkeit der sichtbaren gedanklichen Aufhebung des gängigen „Zwei-Welten-Bildes“, auf der einen Seite Normalität und auf anderen Seite „Irgendwie anders sein“, sie bewertet Unterschiedlichkeit nicht und ordnet Kinder und Jugendliche nicht nach Merkmalen. An Ganztagsschulen kann das Unterstützungspotenzial von Freunden und Peers besser genutzt werden. Bei geeigneter Organisation des Ganztags bekommen die Kinder und Jugendlichen außerdem größere Chancen, ihre Emotionen besser wahrzunehmen und damit umgehen zu lernen. Dies ist eine wichtige Gelingensbedingung für die Inklusion aller Kinder und Jugendlichen. Die inklusive Ganztagsschule hat das Potential, ein Ort zu sein, an dem Kinder und Jugendliche lernen respektvoll zusammen zu sein und an dem sie ermutigt werden, sich zusammen mit anderen für Gerechtigkeit einzusetzen und unfaires Verhalten nicht hinzunehmen. Die Heterogenität der inklusiven Ganztagsschule kann als Motor für Bildung und Erziehung, jenseits von Vorurteilen und stereotypen Zuordnungen, wirken und soziale Integration fördern.

Ganztaegig-lernen.de: Was macht aus Ihrer Sicht das Besondere der Serviceagentur für die Ganztagsschulentwicklung in Ihrem Land aus?

Ines Rackow: In Berlin ist das Beratungs- und Unterstützungssystem der Serviceagentur „Ganztägig lernen“ (SAG) die Grundlage für Qualitätsentwicklung an Ganztagsschulen. Nach dem sehr umfassenden quantitativen Ausbau der Berliner Ganztagsschulen bietet die Serviceagentur „Ganztägig lernen“ kompetente Beratung und Unterstützung für die Schulen. Die Angebote der SAG haben das Potential, die inklusive Ganztagsschulentwicklung langfristig und nachhaltig zu unterstützen. Berlin plant, wie andere Länder auch, die bewährten Vernetzungs-, Beratungs- und Kooperationsstrukturen im Rahmen eines Transferprogramms „Ganztägig bilden“ zu erhalten. Im Fokus der Fortsetzung der inhaltlichen Arbeit soll in den nächsten Jahren die Entwicklung der Ganztagschule stehen, welche individualisiertes und inklusives Lernen über den ganzen Tag ermöglicht und somit das Potenzial der Ganztagsschulen weiter entfalten hilft. Die Ganztagsschule, mit dem Mehr an Zeit für mehr Bildung über den ganzen Tag, bietet in Berlin den organisatorischen Rahmen für inklusive Schulentwicklung. Die DKJS mit ihrer Serviceagentur ist das Berliner Beratungs- und Unterstützungssystem, welches die Expertise dazu hat, Ganztagsschulen dabei zu begleiten, tatsächlich zu mehr Bildungserfolg und Chancengerechtigkeit beizutragen.

Ganztaegig-lernen.de: Welche Unterstützungsformate bzw. Angebote haben sich aus Ihrer Sicht besonders bewährt, um Ganztagsschulen in ihrer Entwicklung zu unterstützen?

Ines Rackow: Zentrale Herausforderung der Berliner Ganztagsschulen ist die Entwicklung eines gemeinsamen Bildungsverständnisses sowie die Entwicklung einer veränderten Lehr- und Lernkultur. Zahlreiche Berliner Ganztagsschulen haben sich auf den Weg gemacht und schon jetzt gemeinsam mit allen Akteuren gute Bildungsangebote über den ganzen Tag entwickelt. Das Netzwerk “GINKGO!“ , Ganztagsschule inklusiv gestalten und organisieren, der SAG, in dem 32 Schulen gemeinsam arbeiten, ist in diesem Kontext ein überzeugendes Format. Die Serviceagentur "Ganztägig lernen" wird in Zukunft weitere Ganztagsschulen in ihr Netzwerk aufnehmen können und ihnen professionelle Beratung anbieten und in Fragen der Qualitätsentwicklung unterstützen. Außerdem werden Schulentwicklungsberatung und Hospitationen angeboten. Darüber hinaus bietet die Serviceagentur vielfältige, an den Bedarfen ausgerichtete, Fortbildungen an. Der Berliner Ganztagsschulkongress, der vom Tagesablauf wie ein Ganztagsschultag organisiert war, mit offenem Beginn und kreativem Mittagsband, ist ein außerordentlich gelungenes und erfolgreiches Format, das die Teilnehmenden einen gelungenen Ganztag erleben lässt.