Gemeinsam und in Vielfalt Lebensorte gestalten

 



Das 2. Transferforum der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung beriet über die Ausbildung und Zusammenarbeit der verschiedenen Professionen an Ganztagsschulen

Welche Kompetenzen müssen junge Menschen erwerben, die sich auf eine Tätigkeit an Ganztagsschulen vorbereiten? Wie gelingt eine konstruktive Zusammenarbeit von Lehrkräften, Sozialarbeitern und Erziehern im Sinne des eigenen Anspruchs des Ganztagsmodells – ein Ort umfassender Lern- und Lebenserfahrung zu sein? Diese Fragen standen im Mittelpunkt des 2. Transferforums, zu dem die Deutsche Kinder- und Jugendstiftung im Rahmen ihres Programms „Ideen für mehr! Ganztägig lernen“ nach Halle/Saale eingeladen hatte.



Dr. Heike Kahl, Geschäftsführerin der DKJS

Augenhöhe, Mut und Wertschätzung. Diese drei Begriffe waren es, die immer wieder anklangen in den Diskussionen und Vorträgen der 145 Teilnehmer des 2. Transferforums der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) am 19. Mai in den Franckeschen Stiftungen zu Halle. Unter dem Titel „Ganztag in der Ausbildung. Wie Lehrkräfte und andere Professionen vorbereitet sein sollten“ tauschten sie sich darüber aus, welche Konsequenzen „die umfassende Veränderung dessen, wie Schule gedacht werden soll“ (Dr. Heike Kahl, DKJS) für die Pädagogen an Ganztagsschulen in Zukunft haben müssen.

Der neue Kultusminister des Landes Sachsen-Anhalt, Stephan Dorgerloh, hieß die Gäste in Halle willkommen und lobte die thematische Ausrichtung der Veranstaltung. Denn die zeitgemäße Qualifizierung des Personals an Ganztagsschulen, so Dorgerloh, sei das Fundament dafür, um „in der individuellen Förderung neue Wege zu gehen, um das Schulsystem leistungsfähiger und vor allem chancengerechter zu gestalten.“ Bettina Bundszus, Referatsleiterin im Bundesministerium für Bildung und Forschung, nannte die Einführung von Ganztagsschulen „die tiefgreifendste bundesweite Erneuerung“ und verdeutlichte anhand der Metapher eines Seils, dessen einzelne Fäden erst gemeinsam wirksam sind, die Bedeutung der partnerschaftlichen Kooperation aller Akteure im Ganztagsbereich.



Prof. Dr. Jürgen Oelkers (links), Universität Zürich

Im Eröffnungsvortrag zeigte Professor Jürgen Oelkers (Universität Zürich) auf, wie groß die Kluft zwischen der Vorbereitung in der pädagogischen Ausbildung und den Anforderungen im Ganztagsschulalltag ist. Er forderte eine viel größere praxisnahe Qualifizierung angehender Lehrer, eine Aufwertung des Erzieherberufs und den Abbau überkommener Hierarchien im gesamten Schulkollegium, da sich mit Ganztagsschulen „Aufgaben verbinden, die nur von den Professionen gemeinsam gelöst werden können“.

Beseelt vom Geist August Hermann Franckes, der über den Räumlichkeiten schwebte, tauschten sich die Teilnehmer in den anschließenden Fachforen über ihre Erfahrungen aus und lernten erfolgreiche Beispiele aus Ausbildung und Schulpraxis kennen. „Es ist wichtig, den Studierenden zu vermitteln, was alles möglich ist im Ganztag“, beschrieb Dr. Wolfram Rollet (TU Dortmund) die Öffnung des Blicks auf den Lehrerberuf im Rahmen des Studiums. „Es gehört Mut dazu, mit anderen Professionen zusammenzuarbeiten und wirklich für Dinge zu kämpfen, die heute noch ungewöhnlich sind“, ermunterte Schulleiterin Edeltraut Schmid dazu, neue Wege zu beschreiten. „Die alte Feindschaft zwischen Lehrern und Sozialpädagogen nehmen wir ernst“, berichtete Ulrich Selle, der an der Universität Kiel eine „Pädagogik der Vielfalt“ lehrt. „Jedoch wird schnell klar, dass das eine nicht ohne das andere geht.“



In der Frage, ob die Ausbildung von Erzieherinnen und Erziehern anderen Professionen angeglichen werden sollte, argumentierte Mechthild Denzer (Bundesarbeitsgemeinschaft Katholischer Ausbildungsstätten für Erzieherinnen und Erzieher) für die Bedeutung der Heterogenität des pädagogischen Personals: „Nur dann bilden wir im Kollegium das ab, was die Schüler darstellen, nämlich Diversität. Damit zeigen wir Wertschätzung für Unterschiede. An dieser Stelle hat Kooperation Modellcharakter.“ Vielfalt und Anerkennung der Stärken des anderen ist auch das Erfolgsrezept der Ganztagsschule Wolmirstedt, dessen Leiter Helmut Thiel versicherte: „Bei uns spielen die Statusunterschiede keine Rolle. Diese Diskussion haben wir an unserer Schule nicht.“
Deutlich wurde am Ende vor allem eines: Fruchtbare interprofessionelle Zusammenarbeit an Ganztagsschulen gelingt dann besonders gut, wenn sich alle Akteure auf ihr gemeinsames Ziel besinnen: Kinder und Jugendliche zu stärken und individuell zu fördern, weit über das „Kerngeschäft“, die Vermittlung von Wissen im 45-Minutentakt, hinaus.



Maren Wichmann, Leiterin des Programms "Ideen für mehr! Ganztägig.lernen."

Es liegt ein sowohl spannender als auch herausfordernder Weg vor all denen, die Ganztagsschulen als „Lebensort“ mitgestalten wollen. Dafür müssen sie Neuland betreten, Konventionen hinterfragen, über die Grenzen von Professionen hinaus zusammenarbeiten. Und vor allem: aktiv werden. „Probieren Sie etwas aus!“, ermutigte Maren Wichmann (DKJS) die Teilnehmer zum Abschluss einer spannenden und erkenntnisreichen Veranstaltung, die Spuren hinterlassen wird.

Datum: 29.05.2011
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