Kommunikation als Türöffner

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© DKJS/D. Ibovnik

Neben ihrem offenen Ganztagsangebot führt die Realschule Lahnstein 2009 eine gebundene Ganztagsklasse ein. Der verbindliche ganztägiger Unterricht macht es den Klassenlehrern möglich, viele Stunden mit ihren Schülern zu verbringen.

Von Britta Kuntoff
 
Es ist schon viel Wasser den Rhein hinuntergeflossen. Anfang Dezember 2011 allerdings macht sich das nasse Element im Flusslauf rar wie nie und den Schiffern arge Probleme. Kein Regen, seit Wochen. Die Koblenzer Polizei hat durch das Niedrigwasser lang gesuchte Waffen gefunden – die größte ist eine 1,8 Tonnen schwere Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Wegen der Entschärfung des Blindgängers steht Koblenz die bundesweit größte Evakuierung der Bevölkerung bevor. Wenn das, was immer so war, plötzlich anders ist, dann fällt es manchmal leichter, den Dingen auf den Grund zu gehen und für die Zukunft aufzuräumen. Das dauert meistens lange und ist nicht einfach. Und doch letztendlich gut.

Qualität durch Ideen und Konzepte

Sieben Kilometer von Koblenz und eine Brückenfahrt über den Rhein entfernt liegt Lahnstein. Vor drei Jahren ist die Realschule der 19 000 Einwohner zählenden Stadt zur Ganztagsschule geworden. Gute Ganztagsschulen entstehen aus Ideen und Konzepten, die entwickelt werden wollen und Umsetzungen, die Menschen mutig ausprobieren. Die Realschule Lahnstein ist auf dem Weg zu diesem Ziel.

760 Schülerinnen und Schüler besuchen die Schule, sie werden von 65 Lehrkräften unterrichtet. In jeder der Klassenstufen 5 bis 10 gibt es sowohl Kinder, die die Schule nach dem Vormittagsunterricht verlassen, als auch Mädchen und Jungen, die nach einem warmen Mittagessen ein Angebot wählen. Das kann die Theater-, die Internet- oder die Entspann-Dich-AG sein oder sie besuchen den Kurs, in dem sie lernen, mit Hunden umzugehen. Seit zwei Jahren existieren an der Realschule Lahnstein außerdem Klassen, die im gebundenen Ganztagsbetrieb arbeiten. 

„Gebundene Ganztagsklassen offerieren neue Möglichkeiten, Unterricht zu gestalten“, erzählt Marcel Schwarz, der zweite stellvertretende Schulleiter. Er ist Koordinator des AG-Angebots. „Nur, wenn alle Kinder verlässlich den ganzen Tag zusammen arbeiten, lässt sich der Tag ausreichend rhythmisieren, verzahnen sich Vor- und Nachmittag,“ meint Marcel Schwarz, der stets bemüht ist, auf die Vorschläge seiner Kolleginnen und Kollegen zu reagieren: „Wenn mir eine Lehrerin sagt, an diesem Tag sei beispielsweise Mathe sehr anstrengend gewesen, ist es in Ordnung, wenn die Kinder dann eine halbe Stunde länger Fußball spielen.“ Fächer wie Sport und Englisch können im Ganztagsbetrieb getauscht werden, wenn dieses für die Leistungsfähigkeit der Jugendlichen besser ist. Doch flexibel zu sein, stößt auf räumliche Grenzen.

Zwei Schulen teilen sich Räume

Die Realschule teilt sich beispielsweise die Fachräume für Musik, Kunst und Chemie mit dem Gymnasium, das sich im gleichen Gebäude befindet. Betonmischer, Gerüste und Holzbalken liegen auf dem Schulhof, damit demnächst auch eine Hauptschule einziehen kann. Die Schulen müssen sich über die Nutzungszeiten für die Fachräume abstimmen. Fixpunkte, die die Rhythmisierung einschränken. „Ideen wie etwa die, statt im 45-Minuten-Takt anderthalb Stunden zu unterrichten oder längere Pausen einzuführen, sind schwer umsetzbar“, bedauert Marcel Schwarz. 

Sich zu kennen und zu wissen, was den anderen beschäftigt, das hat Priorität an der Realschule Lahnstein. Deshalb führen Lehrerkräfte mit den Schülerinnen und Schülern und deren Eltern viele Beratungsgespräche, etwa dann, wenn Kinder im Unterricht stören oder auffällig sind. „Probleme werden bei uns eben nicht nur durch Noten gelöst“, sagt Marcel Schwarz. Lernen, so glaubt er, funktioniere dann am besten, wenn die Beziehung zwischen Kindern und Erwachsenen stimmt. Diese Chance bietet ein ganztägiger Unterricht, der es den Klassenlehrern möglich macht, viele Stunden in seiner Klasse zu sein. Die Klassenlehrerin oder der Klassenlehrer arbeitet immer mit einer zweiten Lehrkraft zusammen, als ein Klassenteam können sie so gemeinsam leichter sehen, welche Bedingung sich innerhalb der Gruppe stellen.

Wie fängt man Streit und Konflikte auf?

In einer Gruppe passiert viel, zumal wenn sie einer Klassenstärke von etwa 30 Mädchen und Jungen entspricht. Wie fängt man Streit und Konflikte auf? Auch Sozialverhalten will gelernt sein. Ingrid Burbach ist eine der Lehrerinnen für das Kommunikations- und Methodentraining, kurz Kom-Unterricht. Heute sitzt sie mit Klassenlehrerin Alexandra Missler und den Kindern der 5a im Stuhlkreis. In der Mitte liegen bunte Karten für eine Feedbackrunde. Ein Mädchen steht auf, greift sich eine gelbe Karte und formuliert seine Botschaft an den Jungen gegenüber: „Ich ärgere mich, dass du immer noch so viel Quatsch machst.“ Das nächste Kind macht es mit seinem ganz eigenen Anliegen nach. „Die Kinder, die Empfänger der Botschaften sind, müssen es aushalten, einfach nur zuzuhören, wenn sie erfahren, was die anderen stört. Wir Lehrer kommentieren das nicht, aber wir arbeiten bei Bedarf das Gesagte im Anschluss der Runde auf“, beschreibt Ingrid Burbach ihre Arbeit. Damit könne gegenseitiges Schuldzuweisen nach dem Pingpong-Prinzip verhindert werden. 

Kommunikation als Lösung für Probleme und als Türöffner für besseres Verstehen. Darum geht es auch im Projekt, an dem die Realschule Lahnstein innerhalb des Netzwerkes Ganztagsschule arbeitet: dem ruhigen, selbstgesteuerten Lernen. In einer Stunde Lernzeit, die nach der Mittagspause stattfindet, lernen Kinder sowohl in Stillarbeit als auch durch Kommunikation mit anderen Schülern. „Manchmal sehen Schülerinnen gezielter als Lehrer, welche Schwierigkeiten der andere hat und können ihm sofort helfen“, erzählt Marcel Schwarz. In der Lernzeit können einzelne Kinder gezielt gefördert werden, in dem die Klasse gesplittet wird. „Wir haben einen Wochenplan mit Übungsaufgaben eingeführt, mit dem die Kinder lernen, wie sie lernen können“, erklärt Lehrerin Melanie Wendel, die in diesem Schuljahr mit einem Lernzeittagebuch arbeitet. Nele aus der 5b ist froh: „Das Tagebuch hilft mir, meine Zeit einzuteilen. Meistens muss ich dann Zuhause gar keine Aufgaben mehr machen.“ 

Ist es nicht anstrengend von 8 bis 16 Uhr Unterricht zu haben? Offenbar nicht, jedenfalls nicht für die elfjährige Leana: „Bei Schulschluss denke ich oft, huch, plötzlich ist der Tag schon vorbei.“ Es ist Nachmittag, Leana macht sich auf den Heimweg und eine Regenjacke braucht sie heute wieder nicht.

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