Blick auf mehr - Momentaufnahmen vom 10. Ganztagsschulkongress

Wegeleitsystem der Klebebande auf dem 10. Ganztagsschulkongress
© Piero Chiussi / DKJS

Hart waren die Holzstühle, auf denen Daniela Schadt in ihrer Schulzeit noch saß. „Heute gibt es in Schulen Sofas, grüne Klassenzimmer und Schlenderwege“, sagte die Schirmherrin der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung in ihrem Grußwort. „Diese Vielfalt lässt erahnen, wie komplex auch der Ganztag ist. Umso wichtiger ist der Austausch über Fragen und Ziele.“ Genau diesen Austausch bot der zehnte Ganztagschulkongress, den das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und die Ständige Konferenz der Kultusminister der Länder (KMK) in Kooperation mit der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS) ausrichteten. 

100 Schülerinnen und Schüler und 1.200 Lehrkräfte, Sozialpädagogen, Kooperationspartner und Experten von Bund, Ländern und Schulämtern, aus Wissenschaft und Wirtschaft und vom SV-Bildungswerk referierten und diskutierten zwei Tage lang zum Thema Blick auf mehr. 10 Jahre Ganztagsschulprogramm. Im Berlin Congress Center (bcc) waren auf drei Etagen Stände, Ausstellungen und Doku-Stationen aufgebaut. Der große Kuppelsaal bot Raum für Vorträge, und in allen Seminarräumen fanden Workshops, Salons und Wortwechsel statt.

„Auf unserem ersten Ganztagsschulkongress vor zwei Jahren haben wir ganz viele Anregungen erhalten“, sagte Lehrerin Stefanie Polzer-Pupel von der Gorch-Fock-Schule. „Heute sind wir selber Ausstellerschule. Aber unsere Schule wächst, und daher wollen wir uns auf jeden Fall wieder umschauen und etwas mitnehmen.“ Rüdiger Hundt, Schulleiter aus Pasewalk, hatte von seinem Kollegium sogar einen ganz konkreten Auftrag erhalten: Er sollte sich in Berlin zum Thema Hausaufgaben informieren. „Dies ist bereits mein neunter Bundeskongress, und jeder einzelne war spannend“, sagte er, „auch wenn man keine Lösung eins zu eins auf die eigene Schule übertragen kann, lässt sich doch sehr vieles benutzen.“

© Piero Chiussi/ DKJS

Und was halten Schülerinnen und Schüler von der Ganztagsschule? Am Nachmittag stand genau zu diesem Thema ein Workshop auf dem Programm: Blick auf meine Ganztagsschule! Schülerinnen und Schüler ziehen Bilanz. „Die Teilnehmer wollten viel mehr über unsere persönlichen Erfahrungen wissen als ich erwartet hatte“, sagte Referentin Lucy Demers vom Landesschülerrat Sachsen im Anschluss, „es gab einen großen Diskussionsbedarf.“

Kathi von Hagen berichtete nebenan im Workshop Neues wagen! Wie eine andere Lernkultur gelingt von ihrer Schulneugründung. „Wir gehen innovativ mit der Stundentafel um, und für die Teilnehmer war es interessant zu hören, dass man sich das auch trauen kann“, sagte die Schulleiterin der Gesamtschule Münster Mitte. „In den nächsten zehn Jahren wird noch einiges passieren, der Bedarf an Konzepten, die den Ganztag richtig umsetzen, ist groß.“

Abends hieß es „Der Kongress tanzt“. Nach mehrstündigen Workshops, nach Wortwechseln und Abendessen wurde gefeiert. Früh am Samstagmorgen waren dennoch die meisten wieder zur Stelle. „Ich finde es toll zu sehen, wie viele sich hier für das Thema Schule interessieren und engagieren, heute hätten die Lehrer ja normalerweise Freizeit“, sagte die 15-jährige Anna. „Oh, der Dorgerloh“, entfuhr es ihr plötzlich voller Begeisterung. Auf einem Bildschirm im Foyer waren Fotos vom Vortag zu sehen. Auch Stephan Dorgerloh, Kultusminister von Sachsen-Anhalt und Präsident der Kultusministerkonferenz, hielt am Vortag eine Eröffnungsrede im Kuppelsaal. Er unterstütze die Arbeit des Landesschülerrats ganz vorbildlich, lobte Anna: „Wenn wir Fragen haben, dann können wir wirklich zu ihm gehen, und dann versucht er uns zu helfen.“

© Piero Chiussi/ DKJS

In seiner Rede erwähnte Stephan Dorgerloh auch seine eigene Ungeduld: „Vielen geht die Ganztagsschulentwicklung viel zu langsam und ich gestehe: Mir auch. Aber sie verläuft in die richtige Richtung. Mein Wunsch ist, dass in Zukunft die Ganztagsschule der Regelfall in Deutschland ist.“

„Der Ganztag in Deutschland ist noch nicht mit der erforderlichen Qualität ausgestattet“, fand auch Andrea Spude vom Bundeselternrat. Dennoch habe sich einiges verändert, seit der Bundeselternrat beim ersten Ganztagskongress 2004 über seine Arbeit informierte. „Das Interesse hat zugenommen“, sagte Andrea Spude. „Man hat erkannt, dass alle Beteiligten an Schule zusammen arbeiten müssen.“

Michael Töpler, der stellvertretende Vorsitzende des Bundeselternrats, forderte in der Schlussrunde des Bühnenprogramms auch eine Fortführung des Programms. Dafür setzte sich auch der Ganztagsschulverband ein.

Auch das Bewusstsein für gesunde, qualitativ hochwertige Ernährung ist gewachsen. Das zeigte das Interesse der Kongressbesucher an IN FORM, der Vernetzungsstelle Schulverpflegung. „Es geht nicht darum, die Kinder zu versorgen“, betonte Michaela Filipini von der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung. Qualität habe einen Preis. „Wir haben uns gefragt, was wohl passiert wäre, wenn man den Besuchern heute früh bei der Eröffnung des Kongresses gesagt hätte: Jeder erhält ein Mittagessen im Wert von 1 Euro 90 inklusive Getränk …“, sagte sie.
Im großen Kuppelsaal ist Ludwig Stecher, Professor an der Justus-Liebig-Universität Gießen und Mitglied des StEG-Konsortiums, heute einer der letzten Referenten. Was er sich für die nächsten zehn Jahre Ganztagsschulentwicklung wünscht? „Dass die Forschung so intensiv weitergeführt wird wie das derzeit der Fall ist, und dass wir uns weiterhin regelmäßig in dieser Form treffen können. Ganztagsschul-Kongresse haben für die Verknüpfung von Praxis und Wissenschaft eine große Bedeutung.“

© Bennett / DKJS

„Wir wurden wahnsinnig viel gefragt, wenn wir am Stand unserer Schule waren“, berichtet denn auch die 14-jährige Jennifer von der Sekundarschule Friedrichstadt in Wittenberg, „wir haben aber auch selber viel Neues erfahren, besonders von den anderen Schülern, wie das bei denen an der Schule läuft und was sie sich wünschen.“ Ihr Mitschüler Max nickt. „Alle waren aufgeschlossen, es war leicht, miteinander ins Gespräch zu kommen“, ergänzte er. „Und es war auf jeden Fall besser als Schule.“

Text: Beate Köhne