Themenatelier „Ganztagsschule der Vielfalt“ - Bunt statt grau

 

Eine Reportage von Christine Plaß

 

Durch die Heilig-Kreuz-Kirche huscht ein Waldgeist, Sitar-Klänge ertönen, Licht wechselt sich mit Schatten ab. Nach und nach kommen auch die anderen Gestalten mit Masken auf die Bühne: Prächtige grüne Bären, Hunde, zwei Mädchen, die miteinander tanzen. Die Tierköpfe erinnern an Indianermasken, bei anderen sind afrikanische Einflüsse zu erkennen. Kim Archipova von Verein Kommunikation durch Kunst (KoduKu) hat sie mit den Kindern der Lemgo-Grundschule aus Berlin Kreuzberg gebaut. Viele Nachmittage haben sie freiwillig daran gearbeitet. Vorab waren sie im Ethnologischen Museum und haben dort gelernt, was Masken in den unterschiedlichen Kulturen bedeuten. Sie haben in der Museumsbibliothek Literatur recherchiert und sich dann für ihre Formen entschieden. Andere Kinder der Lemgo-Grundschule haben sich Instrumente angesehen und etwas über den kulturellen Hintergrund gelernt, in dem sie entstanden sind. Später haben sie dann selbst Panflöten, Rasseln, Cembala und Sitar gebaut. Die Arbeit mit Kopf, Herz und Hand hinterließen einen nachhaltigen Eindruck bei den Kindern. "Interdisziplinäre Zugänge schaffen es, vieles begreifbar zu machen", weiß Kim Archipova. "Ich habe Musik gern", antwortet die 12-jährige Sherezade auf die Frage, warum sie so begeistert dabei ist. Die Masken auf der Bühne tanzen nach der Musik ihres Sitars.

Wo ein Migrationshintergrund etwas Gutes ist

 

Ein Jahr lang hat die Lemgo-Grundschule gemeinsam mit zwei Grundschulen aus Berlin-Neukölln an diesem Auftritt beim Karneval der Kulturen gearbeitet. Klar sind sie aufgeregt, die Erwachsenen vielleicht noch mehr als die Kinder. Die Jens-Nydahl-Grundschule ist mit einer Percussiongruppe vertreten und präsentiert ihre Klangstation der Öffentlichkeit. Die Schüler der Hermann-Boddin-Schule trommeln, tanzen und rappen. Der 12-jährige Momo hat extra einen Song für den Karneval der Kulturen geschrieben: "Wir sind bunt statt braun", heißt es darin.

Beim Karneval der Kulturen ist der Migrationshintergrund, den ungefähr 90 Prozent der Schüler aus den beteiligten Grundschulen haben, kein Nachteil, sondern ein Schatz, mit dem es sich wuchern lässt. Derya Takkali, der schon seit einigen Jahren mit den Kindern der Hermann-Boddin-Grundschule Musik macht, kann davon berichten.

Er hatte am Anfang Bedenken, dass Kinder mit seiner "Weltmusik alla turca", die anatolischen Minnesang, Flamenco, Jazz und lateinamerikanische Rhythmen miteinander verbindet, nicht viel anfangen können. Doch die Boddin-BEATZ haben seine Musik gleich  verstanden und konnten sie umsetzen. "Multi-Kulti, das ist die Musik, mit der die Kinder aufwachsen", erklärt Takkali. Für die türkischen Kinder war es eine besondere Erfahrung, dass sie die Sprache, in der Derya singt, verstehen konnten und die anderen sie fragten, was singt er denn da? Den Kindern mit Migrationshintergrund ihre Wurzeln und ihre Kultur näher zu bringen, ist durchaus ein Anliegen von Derya Takkali, doch gleichzeitig lernen sie dabei auch Musik aus anderen Ländern kennen. "Ich will den Kindern vermitteln, welchen Reichtum Berlin als Musikstadt bietet", erklärt der Musiker mit dem gezwirbelten Schnurrbart unter dem Strohhut, der selbst seine Inspiration aus der deutschen Hauptstadt schöpft. 

Wenn Sprache schwierig ist, ist Musik ein gutes Medium

 

Monika Zessnik vom Museumspädagogischen Dienst begleitet Derya und die Boddin-BEATZ im Rahmen des Themenateliers "Kulturelle Bildung an Ganztagsschulen". Sie arbeitet viel mit Kindern mit Migrationshintergrund. "Das macht ja auch Sinn im ethnologischen Museum. Musik ist ein gutes Medium, wenn Sprache ein Problem ist", erklärt sie. Aber Musik erfordert auch viel Disziplin. Man muss dabei bleiben, zuhören, sich einfügen. Daran mussten sich auch die Boddin-BEATZ erst gewöhnen. "Am Anfang wollten sie sich natürlich beweisen" erinnnert sich Derya Takkali. "Sie mussten lernen sich zurückzunehmen, damit man auch den Gesang verstehen kann". Mittlerweile kann man  den acht Profi-Musikern und den Kindern der Neuköllner Grundschule nicht mehr anhören, dass sie aus zwei ungleichen Partnern bestehen, glaubt man Takkali, ist "eine Band aus einem Guss" entstanden.

Derya und die Boddin-BEATZ sind ein Paradebeispiel für das, was das Themenatelier "Kulturelle Bildung an Ganztagsschulen" bewirkt: "Wir wollen langfristige und nachhaltige Kooperationen zwischen Schule und außerschulischen Partnern in der kulturellen Bildung fördern", erklärt Thomas Busch von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung (DKJS). Bereits über zehn gemeinsame Auftritte haben die Boddin-BEATZ mit den Profi-Musikern. Derya Takkali & SanaBana Band absolviert. "Die Kinder hätten noch viel mehr Auftritte machen können, aber uns war wichtig, dass es weitergeht und sie nicht immer dieselben Stücke spielen", erzählt Monika Zessnik. Und so kamen sie auf die Idee, mit den Schülern der Hermann-Boddin-Schule Cajons zu bauen. Fünf Monate lang fuhren die Boddin-BEATZ einmal in der Woche von Neukölln nach Dahlem ins Junior Museum und bauten kistenförmige Musikinstrumente, die eigentlich beim Flamenco benutzt werden. Der Klavier- und Cembalobauer Immanuel Martin-Lengwenath half ihnen dabei. Beeindruckt berichtet er, wie unbefangen die Schüler an die Aufgabe herangingen. "Gerade in einem Brennpunkt mit hohem Migrantenanteil ist es sehr wichtig, Kinder für vielfältige Dinge zu begeistern", sagt Martin-Lengwenath. Aus seiner Sicht ist der Instrumentenbau dafür besonders gut geeignet, weil sich dabei viel über Musik und Geschichte lernen lässt.

Unvergessliche Erlebnisse

 

Derya Takkali ist sehr stolz auf seine jungen Mitmusiker: "Sie haben vor der Entwicklungsministerin gespielt und für den Bundespräsidenten. Das werden ihr Leben nicht vergessen", glaubt er. Er hat gemerkt, dass Anerkennung sehr wichtig ist für die Kinder. "Und dass sie merken, dass Lernen Spaß macht". Am tollsten war der Auftritt am Alexanderplatz, wo sie vor ganz vielen Leuten mit Derya aufgetreten sind, berichtet die 12-jährige Rabia von den Boddin-BEATZ. Fragt man die anderen Kinder, was ihre Umwelt davon hält, dass sie sich Masken aufsetzen und sogar in ihrer Freizeit trommeln, erklären sie, dass Lehrer und Eltern toll finden, was sie machen. Leider sind viele Eltern heute nicht dabei. "Meine Eltern müssen arbeiten", erklären nicht wenige Kinder.

Dafür sind viele Lehrer gekommen, unter ihnen Gundula Mantwill von der Jens-Nydahl-Grundschule. Sie hat mit ihrer 5. Klasse im Ethnologischen Museum eine telefonzellengroße Klangstation gebaut. Sie ist wunderschön mit Ornamenten aus verschiedenen Kulturen bemalt, wer in ihr Platz nimmt, wird mit Klängen aus dem Vorderen Orient, Südostasien, Afrika und Südamerika beschallt. Die Kinder von der Jens-Nydahl-Schule haben sich im Ethnologischen Museum über Musik aus den Kulturen informiert, über Symbole recherchiert, sie vorgezeichnet und ausgemalt. Neugierig lugen die Besucher in Klangstation, gehen um sie herum, setzen sich herein und lauschen ihren Klängen. Ob sie ahnen, wie viel Arbeit in diesem Erlebnis für die Sinne steckt? Für die Kinder der Jens-Nydahl-Schule, die zusätzlich mit einer Percussion-Gruppe beim Auftritt in der Heilig-Kreuz-Kirche dabei sind, hat sich der Aufwand gelohnt. "Die Zusammenarbeit mit den anderen Schulen, die Teil der Aufführung waren, war sehr bereichernd. Die Schüler haben Kontakt aufgenommen zu den Kindern aus den anderen Schulen, sie nehmen schöne Eindrücke mit nach Hause. Gerade schwierige Kinder bekommen hier die Gelegenheit, ganz viel Selbstwertgefühl tanken. Sie finden es toll, Teil eines so großen Ganzen zu sein", sagt Gundula Mantwill über ihre Schüler.

Gut vernetzt, gut unterstützt

 

Es brauchte gute Absprachen zwischen Lehrern und außerschulischen Partnern, um das gemeinsame Projekt, an dem über 100 Schüler aus drei Schulen beteiligt sind, auf die Beine zu stellen. Dabei wurden die Projekte vom Themenatelier im Programm "Ideen für mehr! Ganztägig lernen." unterstützt. Dem Leiter des Themenateliers, Thomas Busch von der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, ist vor allem wichtig, dass die Schulen voneinander profitieren konnten: "Wenn sich in einem Stadtteil liegende Schulen und ihre Partner in einem Netzwerk zusammenschließen und gemeinsame Bildungsgelegenheiten bieten, fangen sie auch an voneinander zu lernen. Diese drei Berliner Schulen zeigen das ganz eindrücklich."

Weil das Themenatelier "Kulturelle Bildung an Ganztagsschulen" so nachhaltig Wirkung zeigte heißt es jetzt: "Klappe, die Zweite!" Für weitere zwei Jahre können die Kultur-Projekte an Schulen gefördert von der PwC-Stiftung ihre Arbeit fortsetzen. Als neues Themenatelier kam "Ganztagsschule der Vielfalt" 2007 hinzu. Derya Takkali hat bereits Schulen in Sachsen-Anhalt besucht, um sie für ein gemeinsames Hip-Hop-Projekt zu begeistern. Dabei wollen sie Gesicht zeigen gegen Ausländerfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus. "Bunt statt grau", das gilt eben nicht nur beim Karneval der Kulturen.

 

Datum: 14.06.2008
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